Faustpfand in Nigerias Machtkämpfen

In Nigerias Ölfördergebieten geraten immer mehr Ausländer in die Gewalt bewaffneter Rebellen. Derzeit sind zwei Deutsche dabei. Die Welle von Geiselnahmen steht im Zusammenhang mit innenpolitischen Rivalitäten vor Nigerias Wahlen 2007

VON DOMINIC JOHNSON

Eine Reihe von Geiselnahmen hält die Ölindustrie im achtgrößten Ölexporteur der Welt in Atem. Rebellen in Nigeria kidnappen nahezu täglich Ausländer, die bei Ölkonzernen oder deren Zulieferbetrieben arbeiten. Seit Jahresanfang wurden mehr als 35 ausländische Mitarbeiter der Ölindustrie verschleppt – 14 allein in der vergangenen Woche. 11 Geiseln befanden sich gestern Nachmittag in Rebellenhand.

Mit einem spektakulären Überfall auf einen Nachtklub in Port Harcourt, der größten Stadt im ölreichen Niger-Flussdelta, markierten die Rebellen in der Nacht zum Montag erneut ihre Schlagkraft. Rund zehn bewaffnete Männer in Armeeuniformen stürmten den Club „Goodfellas“, schossen um sich und nahmen fünf Weiße mit – zwei Briten, einen Ire, einen US-Amerikaner und einen Deutscher. Sie entkamen in einem Schnellboot.

Zuvor waren bereits zwei Norweger, zwei Ukrainer, ein Deutscher, ein Belgier und ein Marokkaner in verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeitpunkten entführt worden. Drei Filipinos kamen am Montag frei, die Freilassung der beiden Ukrainer wurde nach russischen Agenturberichten noch für gestern erwartet.

Bei der ersten deutschen Geisel handelt sich um Guido Schiffarth, Mitarbeiter der Baufirma Bilfinger & Berger, die in Nigeria seit Langem unter dem Namen „Julius Berger“ eine herausragende Rolle bei Großprojekten spielt. Der 62-jährige Schiffarth wurde am 3. August gekidnappt. Firmensprecher Sascha Bamberger in Mannheim dementierte gestern gegenüber der taz Berichte, wonach Berger seine Aktivitäten im Niger-Flussdelta wegen der Unsicherheit einstellen wolle. Das Geschäft laufe „weiterhin geordnet“, sagte er.

Die wachsende Unsicherheit wird von Nigerias Medien in Zusammenhang mit dem sich verschärfenden Streit um die Nachfolge des amtierenden Staatspräsidenten Olusegun Obasanjo gebracht, dessen Amtszeit 2007 ausläuft. Seine Partei PDP (Demokratische Volkspartei), die im Niger-Flussdelta sehr stark ist, konnte sich bislang nicht auf einen Nachfolger einigen. Mehrere prominente PDP-Lokalpolitiker im Süden Nigerias wurden in den letzten Wochen erschossen.

Politiker aus dem Niger-Delta werben dieser Tage heftig dafür, den nächsten PDP-Präsidentschaftskandidaten zu stellen und damit die jahrzehntelange Marginalisierung der Ölfördergebiete in Nigerias Politik zu beenden. Die zunehmende Stärke der Rebellen in ihren Hochburgen schwächt sie allerdings bei den Bemühungen, sich als kompetente Führer zu profilieren. So wird vermutet, dass Gegner der PDP-Deltaführung – eventuell aus der vom islamischen Norden dominierten Militärelite, die ebenfalls 2007 zurück an die Macht will – die Rebellen unterstützen. Die regierungsnahe Tageszeitung The Tide in Port Harcourt rief am Montag in einem Editorial die Rebellen auf, ihre Aktionen zu beenden: „Die Entführungswelle dient nur dazu, unseren Verbündeten im Kampf um Emanzipation zu schaden.“