Kreative Resteverwertung

FUSSBALL In Italien kommt Bewegung in den Spielermarkt, auch wenn die Zeit des Protzens längst vorbei ist

PALERMO taz | Die Serie A galt bis vor einer Woche noch als ein toter Markt. Kurz vor Ligastart am Samstag sorgen ewige Talente wie Alberto Aquilani und rückkehrwillige Superstars wie Zlatan Ibrahimovic aber für heftige Bewegung. Der neuerliche Bedeutungsgewinn ist dieses Mal nicht massenhaft eingesetztem Geld, sondern dem geschickten Ausnutzen von atmosphärischen Störungen bei anderen Klubs zu verdanken

Über „sardischen Ziegenkäse anstatt Trüffel“ mokierte sich kürzlich noch die Tageszeitung Repubblica. Sie bedauerte, dass nur noch „Stars zweiter Güteklasse“ wie etwa der für 15 Millionen Euro aus Moskau gekommene Milos Krasic den hiesigen Transfermarkt bestimmen. Der blonde Serbe gilt bei Juventus wegen seines Haupthaars, seiner Härte und seiner Position auf der linken Außenbahn als Nachfolger des schmerzlich vermissten Pavel Nedved. Kurz bevor die Uefa die Glocke zum Abschluss des internationalen Handels mit Kickerbeinen, Hartschädeln und Panini-Bildchen-Modellen schwingt, erfuhr der geschmähte „dörfliche Wochenmarkt“ aber doch noch einen Aufschwung. Juventus sicherte sich mit dem beim FC Liverpool nicht mehr gesetzten Alberto Aquilani neue Qualität im Mittelfeld. Der AC Mailand träumt vom Supercoup: Der Schwede Zlatan Ibrahimovic ist Barcelona-müde. Er soll nach Informationen der Gazzetta dello Sport in der Sommerpause sogar – vergeblich – bei Inter Mailand nachgefragt haben, ob die ihn zurückhaben wollen. Jetzt sind die Vettern vom AC am Zuge. Vizepräsident Adriano Galliani, derzeit in Barcelona, will zur Not bis über den Saisonstart hinaus in der katalanischen Hauptstadt bleiben. Er gab allerdings zu: „Die Verhandlungen sind kompliziert.“ Für ein Handgeld wird Barcelona den teuersten Einkauf der letzten Saison (50 Millionen plus Samuel Eto’o) nicht ziehen lassen wollen.

Milan aber ist auf Sparkurs – so sehr, dass sich der einstige Protzverein Kevin-Prince Boateng vom CFC Genoa kaufen ließ und ihn sich dann auslieh. Ob Genoa-Präsident Enrico Preziosi – ein Spielzeugfabrikant mit dreistelligen Millionenumsätzen – seinem einstigen Mitaktionär Silvio Berlusconi – der Cavaliere hatte einmal Anteile an einer Ladenkette von Preziosi – hier wieder zur Seite springt, hat sich bislang noch nicht angedeutet. Galliani muss allein seine Basarhändler-Qualitäten zum Einsatz bringen. Derzeit favorisiert wird laut Gazzetta dello Sport ein Spiel über Bande. Barcelona ist an Cesc Fabregas interessiert und braucht ein paar gute Argumente (Geld, aber nicht nur Geld), um ihn aus der Premier League loszueisen. Wenn Milan da etwas bewegen kann, klappt auch der Wechsel von Ibrahimovic zu den Rossoneri.

Der Handel um den Schweden macht auf einen Paradigmenwechsel aufmerksam. Die Zeiten, als mit Bündeln voller Banknoten Stars wie Ronaldo, Ronaldinho und Kakà, Platini, Gullit und Van Basten in die Serie A gelockt wurden, sind vorbei. Die Lust an der Kreativität ist der Angst vor dem Verlust (Punktverlust wie Geldverlust) gewichen. „Unser Fußball ist erstarrt“, kritisiert Altmeister Arrigo Sacchi. Geld gibt es nicht nur der Krise wegen immer weniger. Den Klubs sind auch die alten Wege der „kreativen“ Buchführung versperrt.

Das angekündigte Finanz-Fairplay der Uefa sorgt dafür, dass Einnahmen und Ausgaben schon jetzt auf Konversionskurs gebracht werden. Handlungsspielraum haben die Sportdirektoren daher nur, wenn sie ein Sensorium für atmosphärische Störungen bei anderen Klubs entwickeln. Inter hat es letzte Saison vorgemacht, als die in Spanien unzufriedenen Wesley Sneijder und Samuel Eto’o für vergleichsweise wenig Geld geholt wurden und sich als Protagonisten beim Champions-League-Gewinn erwiesen. Auch Ex-Bayer Lucio war solch ein Gelegenheitskauf. In diesem Jahr könnte Martin Demichelis das Gleiche widerfahren. An dem bei Bayern nur noch wenig gelittenen Argentinier ist Juventus dran. Auch Luca Toni, der „mindestens 20 Tore“ für den CFC Genoa angekündigt hat, ist solch ein Fall der Resteverwertung. Ibrahimovic wäre freilich die Krönung der neuen Schlitzohrigkeit. TOM MUSTROPH