Rockbands mit einer Ostvergangenheit leben einfach länger: Mit Karat und Silly kann das jetzt so weitergeh’n

Nun gibt es dieses kleine seltsame Land schon 20 Jahre nicht mehr. Diese 20 Jahre waren aber auch nötig, damit das kleine Land zumindest in einem Marktsegment endlich das von ihm gern beschworene Weltniveau erreichen konnte. Kein Land der Welt, kann man heute sagen, hat so langlebige Rockbands gebaut wie die größte DDR der Welt. Die Puhdys sind nun bereits 41 Jahre alt, City auch schon 38 Jahre zusammen, Karat feiern in diesem Jahr 35 Jahre auf der Bühne, und Silly wurden vor immerhin 32 Jahren gegründet.

Witzigerweise haben ausgerechnet die beiden älteren Bands all die Jahrzehnte ohne dramatische Verluste überstanden und treten heute noch mit nahezu allen wichtigen, wenn auch etwas knittriger gewordenen Mitgliedern auf. Karat dagegen haben einige Verjüngungskuren hinter sich, die wichtigste allerdings eine unfreiwillige: Sänger Herbert Dreilich, fast drei Jahrzehnte lang Stimme der Band, wurde nach seinem Krebstod 2004 und einigen juristischen Auseinandersetzungen um die Rechte am Namen Karat von seinem Sohn Claudius ersetzt. So ist nun von der Originalbesetzung nur mehr Ulrich „Ed“ Swillms dabei, aber der Komponist der meisten Hits steht aus gesundheitlichen Gründen nur noch selten auf der Bühne. Claudius Dreilich sieht seinem Papa zwar erstaunlich ähnlich, die Stimme aber hat er nicht geerbt. Das ist allerdings nur das zweitgrößte Problem von „Weitergeh’n“. Das größte ist, dass das alte Erfolgsrezept eher fantasielos noch einmal aufgekocht wird: Romantische Balladen wechseln sich ab mit dezent rumpelnden Rocksongs, die Texte tun demonstrativ poetisch. Kurz: Karat merkt man ihr Alter allzu offensichtlich an.

Im direkten Vergleich nehmen sich Silly geradezu wie Jungspunde aus. Vielleicht liegt es an ihrer relativen Jugend, aber auf „Alles Rot“ scheint die Zeit tatsächlich stehen geblieben zu sein. Ja, man merkt nicht mal so richtig, dass Sängerin Tamara Danz 1996 und Schlagzeuger Herbert Junck 2005 verstorben sind. Schauspielerin Anna Loos übernimmt den Part von Danz überraschend selbstverständlich, während die Band ihren bisweilen etwas schwülstigen Rock vorsichtig, aber durchaus effektiv modernisiert hat. Da kann man dann hören, dass Gitarrist Uwe Hassbecker und Keyboarder Rüdiger Barton in ihrem Studio erfolgreich einige deutsche Mainstream-Acts produziert haben. Nun klingen Silly zwar ungefähr so wie Silbermond, aber vielleicht sollte man auch die Jungstars mal fragen, was ihre Eltern während ihrer Kindheit in Bautzen so aufgelegt haben.

Dass der alte Silly-Fan aber so problemlos auf die Ikone Danz verzichten und dafür stattdessen nun Loos ins Herz schließen kann, das liegt nicht zuletzt an den Texten. Denn die hat wieder Werner Karma verfasst, wie früher schon. Und wie früher feiert da der Symbolismus fröhliche Urständ. Karma schreibt exakt so kryptisch und verschlüsselt, als müsste er immer noch die Zensur des Arbeiter-und-Bauern-Staates austricksen. Und die war ja bekanntlich eines der wenigen Felder, auf dem die DDR bereits zu Lebzeiten Weltniveau erreicht hatte. THOMAS WINKLER

■ Karat: „Weitergeh’n“ (A&F/ Edel), live am 8. 11. Friedrichstadtpalast

■ Silly: „Alles Rot“ (Island/Universal), live heute Zitadelle Spandau