„Der Begriff Indie ist überstrapaziert“

SINNBUS Das Berliner Veranstaltungs- und Labelkollektiv Sinnbus feiert Zehnjähriges. Ein Gespräch mit Labelgründer Peter Gruse über die Politik der Unabhängigkeit und die Liebe, die in Musik gegossen ist

■  Das Label: Sinnbus existiert als Label seit 2002, hervorgegangen aus einem Künstlerkollektiv, das seit 2000 Konzerte, Partys und Radrennen in Berlin organisiert hat.

■  Der Macher: Peter Gruse, 32, lebt seit 1988 in Berlin. Der Label-Manager (zusammen mit Daniel Spindler) hat in der Noiseband Beach gespielt.

■  Die Konzerte: Alarma Man und Future Fluxus spielen am 19. August im Comet, am 26. August sind Menfolk, Obstacles und Trust im Schokoladen zu Gast. (tn)

INTERVIEW TOBIAS NOLTE

taz: Herr Gruse, das von Ihnen mitgegründete Künstlerkollektiv Sinnbus feiert seinen zehnten Geburtstag – fernab vom musikalischen Mainstream. Können Sie sich noch an die Anfänge erinnern?

Peter Gruse: Hervorgegangen ist Sinnbus aus einem Freundeskreis. Wir stammen alle aus Berlin und haben in den 90ern in Bands gespielt. Dann kam irgendwann die Erkenntnis, dass man mehr reißen kann, wenn man sich zusammenschließt. So fingen wir an, Konzerte zu organisieren. Jahrelang haben wir ein kleines Festival organisiert, den „Seefahrer“. Ein Elektro-Postrock-Festival als Mischung aus Wohnzimmer- und Konzertatmosphäre. Irgendwie haben wir es damals geschafft, Künstler im Frühstadium ihrer Karriere zu buchen, etwa Modeselektor oder Soap & Skin. Und dann erweiterte sich das eben um die Idee, Platten zu veröffentlichen. Mit jeder Entwicklungsstufe hat sich das professionalisiert. Ab einem gewissen Moment muss man dann auch merken, dass man bedingungslos hinter der Sache steht, auch wenn es finanziell schwierig wird.

Kann man von einer unabhängigen Plattenfirma noch leben? Schön wär’s. Wir haben alle nebenher andere Jobs, die uns über Wasser halten. Ich etwa arbeite in einer Software-Firma. Andere von uns arbeiten beim Film oder legen auf. Sinnbus ist eine Art befreundete Interessengemeinschaft, in der man sich kreativ austoben kann.

Sich austoben mit Freunden – das hört sich nach Spaß an.

Vom Spaß kommen wir zweifellos her. Aber man hat eine gewisse Verantwortung, wenn eine Band ihr komplettes Leben investiert und wirklich Gas gibt. Bands wie Bodi Bill oder Hundreds etwa – obwohl sie auch nicht von der Musik leben können, geben die alles.

Was ist der Sinnbus-Sound?

Unser erstes Kriterium ist, dass jede Platte absolut brennen muss. Gerade weil es unter ökonomischen Gesichtspunkten einfach Schwachsinn ist, was wir machen, muss man die Liebe raushören, die mit drinsteckt.

Welche Bedeutung hat das Internet für Sinnbus?

Als wir vor zehn Jahren anfingen, hatte die Krise der Musikindustrie gerade begonnen. Wir haben also die Goldenen Zeiten nicht mehr erlebt. Künstlerpech. Wir sind mit der Krise aufgewachsen. Außerhalb des Mainstreams fehlt der Musik heute die ökonomische Basis. Man muss aber auch sehen, dass das Internet besondere Möglichkeiten der Verbreitung bereithält.

Zum einen findet Independentmusik im Internet neue Hörer, gleichzeitig haben die Künstler von dieser Popularisierung sehr wenig. Kann das mit einer internationaleren Ausrichtung aufgebrochen werden?

Perspektivisch wollen wir schon dahin, wo die Musik unserer Ansicht nach auch hingehört – nach England, Benelux, Frankreich, langfristig auch in die USA. Wir sind aber keine Träumer und wissen, dass im Ausland niemand auf deutsche Bands wartet. Das neue Album unserer Band Bodi Bill „Two in One“ ist im Mai in England, Frankreich, Benelux erschienen. Wir planen dafür derzeit eine „Tour de Sinnbus“, bei der wir mit Bodi Bill, Hundreds und vielleicht noch ein paar DJs die Großstädte bespielen werden – London, Paris, Brüssel und Amsterdam. Wir starten diesen Versuch in dem Wissen, dass wir Spartenmusik anbieten. Daher müssen wir einfach international orientiert sein. Es gibt in Berlin ein paar tausend Fans, genauso in London oder New York. Und diese Hörer muss man eben erreichen. Und in Bodi Bill sehen wir eine Band, die hierfür vielleicht ein Türöffner werden kann. Wir wollen den anderen elektronischen Sound von Berlin präsentieren.

Neben diesem „anderen Berliner Elektrosound“ steht Sinnbus für Postrock. Sind das die beiden musikalischen Säulen des Labels?

Genau, Postrock ist unser zweites Standbein und vor allem auch unser Ursprung. Dieses musikalische Ausreizen, dieses Spiel mit Dynamiken, finden wir nach wie vor spannend. Aber wir haben keine Gesetze, was unseren musikalischen Rahmen angeht. Unsere Ausrichtung entspringt nur unserem Geschmack. Eine Band muss vor allem live funktionieren. Der Moment, in dem man dasteht und weggeblasen wird, ist entscheidend.

Muss man als kleines Label schnelllebige Trends mitmachen?

Es gibt immer Zeiten, wo Sachen zurückkommen oder gehypt werden. Das kann eine merkwürdige Eigendynamik annehmen. Strategisch planen wir so etwas aber nicht. Möglich, dass wir übermorgen irgendeine HipHop-Crew toll finden und auf den Trichter kommen: Wir müssen die unbedingt rausbringen! Diese Offenheit wollen wir uns bewahren.

Man kann an Ihrem Label gut die Zwiespältigkeit des Begriffs „Indie“ ablesen. Statt Unabhängigkeit vom Mainstream meint Indie heute eine bestimmte Musikrichtung.

Ich komme aus der Gitarrenecke. Für mich gab es damals die elektronische Popmusik überhaupt nicht. Das hat sich geändert, Vorreiter waren Indietronic-Sachen, etwa von The Notwist. Heute gibt es nicht mehr nur den Gitarrentypen oder den Elektrotypen. Ich glaube, dass viele offener geworden sind. Der Begriff Indie ist überstrapaziert. Früher stand das für eine bestimmte Art von unabhängiger Musik mit politischer Haltung. Das Politische ist aus den Texten und der Musik gewichen, aber es steht noch im Raum: Auf welchen Geschäfts- oder Vertriebsmodellen basiert man? In welchen Konstellationen arbeitet man? Wo und wie lässt man seine Platten herstellen? Dieser politische Hintergrund ist heute weniger ersichtlich, aber immer noch wichtig.

Indieleute, das sind also heute die musikalischen Lohas?

Kann man so sehen. Viele unserer Bands sind irgendwie die Band von nebenan. Der Typ, der die krasse Lederjacke trägt und politische Slogans schmettert, ist vorbei. An dessen Stelle ist heute der nette Nerd getreten, der jetzt nach außen tritt und sich verwirklichen will. Vielleicht wird der aber gerade auch zum Mainstream.