Keine Hippies mehr

Rucksacktourismus ist längst ein Massenphänomen und immer auf der Suche nach dem neuen Kick

Wer nach Thailand reist, landet wohl oder übel irgendwann in Bangkok. Und wer als Tourist in Bangkok ankommt, den verleitet es irgendwann auch zur hoch angepriesenen Kao San Road. Dort befindet man sich aber gar nicht mehr in Thailand, erst recht nicht in Bangkok. Die Kao San Road ist beliebter Treffpunkt von Rucksacktouristen unzähliger Länder. US-Amerikaner, Italiener, Deutsche, Südafrikaner, Polen – sie alle tummeln sich in den touristischen Herbergen und Restaurants, in denen selbst das thailändische Essen nach europäischen Softversionen schmeckt. Indes, einen schwarzen oder asiatischen Touristen zu finden, erinnert an die oft zitierte Nadel im Heuhaufen. Die Thailänder der Kao San Road sind lediglich hier, um den verehrten Gästen Dienstleistungen aller Arten anzubieten, ihnen ein paar thailändische Baht abzuknöpfen, und wahrscheinlich sagen sie sich: „Die spinnen, die Touris!“

Doch den „Backpackern“ – wie sich die Rucksacktouristen untereinander rufen – ist das egal. Von vergangenen Idealen ist nicht mehr viel übrig. Was einst langhaarige, mit drei Unterhosen, einem Rucksack und einer Gitarre ausgestattete Freaks einführten, um gegen den aufkommenden, vom Kapitalismus angetriebenen bürgerlichen Massentourismus ins Feld zu ziehen, hat sich längst zu einem Statussymbol entwickelt. So wie sich andere Leute dicke Uhren und schnelle Autos kaufen – so ziehen andere los, um exotisch klingende Urwälder, Inseln und Strände aufzusuchen.

Dabei hat sich in der „Backpacker“-Religionsgemeinschaft ein stets unbefriedigter Drang nach dem möglichst größten Kick entwickelt. Thailand ist gerade so in, dass es schon wieder out ist. Die Pioniere ziehen als Propheten der Gemeinde längst weiter. Vietnam und Indien sind bereits eingenommen, Burma und Laos folgen. Je abgefahrener und schräger sich ein Land anhört, umso besser. Man hat zwar nur Stress, kann sich nicht verständigen, kriegt Ärger mit den Behörden und fängt sich zu allem Überfluss auch noch eine tropische Krankheit ein, aber am Ende hält man durch, irgendwie. Gehört nicht zu allen Religionen ein guter Schuss Qual und Selbstüberwindung? Außerdem verleiht einem die Hoffnung neue Kräfte, in ein paar Wochen mit einem Heiligenschein heimkehren zu können, stolz dem Freundeskreis (auch alles Rucksacktouristen) zu erzählen: „Ich bin über die Grenze nach Nordkorea eingebrochen!“

Halt, nicht alle Anhänger fahren gleichermaßen auf neue exotische Pionierreisen ab. Werfen wir erneut einen Blick auf die Kao San Road. Hier gibt es neben den pseudoalternativen Esoterikständen mit Muschelkettchen und Räucherstäbchen sowie Che-Guevara-T-Shirts auch Calvin-Klein-Gürtel, Rolex-Armbanduhren, Nike-Sportschuhe, Diesel-Muskelshirts und Armani-Handtaschen – natürlich alles gefakt – im Überangebot. Rucksacktouristen sind, wie fast alle anderen Normalsterblichen, dem Markenwahn verfallen: schlechte Qualität, toller Name, niedriger Preis – alles klar, wird gekauft. Längst, und ohne es so richtig zu merken, geschweige denn zu akzeptieren, haben sie die Spielregeln von Kommerz und Kapitalismus angenommen und sind selbst Teil eines Massentourismus geworden, gegen dessen Strukturen die Vorfahren einst rebellierten.

In dieser schizophrenen Situation entwickeln sich teilweise perverse Verhaltensmuster: In Chiang Mai werden Fahrten zu den Bergdörfern angeboten, auf denen kleine bettelnde Kinder mit Süßigkeiten gefüttert werden. Auf der Insel Ko Phi Phi gröhlen hauptsächlich amerikanische Touristen lauthals zu Transvestiten, die noch dicker als die Amis sind und zu schlechter Musik ihre fetten Bäuche schwabbeln lassen (das Ganze läuft unter dem Motto „Kabarett“). Aber am schönsten zeigt sich das große Paradoxon der Gemeinschaft an ihrer Bibel, den millionenfach verkauften Reiseführern des „Lonely Planet“. Ein dort beschriebener Geheimtipp ist ungefähr so geheim wie das Amen in der Kirche. Aber was, wenn bald alle Strände entdeckt sind, ein Urlaub in Nordkorea wie Skifahren in der Schweiz ist und alle hungrigen Kinder Bauchschmerzen haben? Dann wird schließlich eine sensationelle Meldung über die Bildschirme flackern: „Erster Rucksacktourist auf dem Mond gelandet!“ Moritz Förster