Kondome statt Blümchen

Der US-Künstler Mel Chin hat mit Gala Committee heimlich Requisiten in die Soap-Serie „Melrose Place“ geschmuggelt. Jetzt ist das subversive Kunstzubehör in Berlin zu sehen

Die Arbeit am Set muss ziemlich aufregend gewesen sein. Als die dritte und vierte Staffel von „Melrose Place“ 1994/95 gedreht wurden, gab es einen Skandal nach dem anderen: Plötzlich spielte die Porno-Darstellerin Traci Lords eine Nebenrolle, es gab Figuren mit multiplen Persönlichkeiten, Ex-„Denver“-Sternchen Heather Locklear tyrannisierte als blondes Biest die gesamte Mischpoke und zuletzt jagte Kimberly den namensgebenden Apartmentkomplex in die Luft, als ultimativer Höhepunkt der Fernsehserie. Dass sich in diesen chaotischen Plot auch noch eine subversive Künstlergruppe eingeschlichen und selbst gemachte Requisiten in die Kulissenwelt eingeschmuggelt hatte, schien bei soviel Irrsinn nicht weiter ins Gewicht zu fallen.

Jetzt sind die skurrilen Zigarrenkisten, Paravents, Verkehrsschilder und dekorativen Bilder, die Mel Chin mit seinem Gala Committee produziert hat, wie Trophäen bei Schürmann Berlin ausgestellt. Und in der Galerie Joanna Kamm kann man gleich eine komplette Bareinrichtung sehen, bei der die Etiketten von sämtlichen Flaschen mit neuen Labels versehen wurden. Das fordert viel Aufwand, auch vom Betrachter. Denn er muss auf ausgelegten Infoblättern ständig nachlesen, was es mit den Verwandlungen auf sich hat. Mal geht es um die Formel für eine Abtreibungspille, die auf eine Steppdecke gedruckt wurde, mal ist auf einem Gemälde eine Schleiereule abgebildet, die in Kalifornien zu den bedrohten Tierarten gehört. Keine Frage, „Art as seen on Melrose Place“, so der Titel der Doppelausstellung, lebt von der Liebe zum Detail.

Dabei war die Idee des von Mel Chin gegründeten Gala Committee schlicht und brillant. Wie kann man eine extrem populäre Soap unterwandern? Wie kann man kritische Kunst in ein Massenmedium einspeisen? Und merken die Zuschauer überhaupt, dass da Fremdkörper in ihrer Lieblingsserie auftauchen? Den theoretischen Rahmen zur schleichenden Störung hatte Chin zuvor mit seinem Team bei einem Workshop im Museum of Contemporary Art Los Angeles abgesteckt: Es ging darum, neue Wege für Kunst im öffentlichen Raum auszuprobieren – statt weiter Grün- und Grauflächen der Stadt zu verschönern, wollte man das Fernsehen erobern.

Hilfe kam von der Set-Designerin Deborah Siegel, die für die Kulissen bei „Melrose Place“ verantwortlich war. Sie gab Chin und seinen Kollegen freie Hand, zunächst noch im Kleinen. Auf eine Billard-Kugel wurde an Stelle der Zahl 8 eine Umrisslinie von Afrika gedruckt, um gegen die Apartheid zu demonstrieren. Eine Brieftasche wurde in eine Puderdose umgewandelt, quasi als Drag Moneybag.

Tatsächlich schien zunächst niemand etwas zu bemerken. Also verschärfte das Gala Committee seinen Kurs: Bettwäsche wurde mit dem Muster von Kondomen bedruckt; trotz US-Embargo standen in einer Folge kubanische Zigarren auf dem Tisch; und irgendwann waren selbst schwule Pärchen auf gelb leuchtenden Schildern zu sehen, die der smarte Billy Campbell in der Serie als seine Werbekampagne präsentierte. Das Konzept war eingelöst, die Streitfragen des täglichen Lebens hatten sich in einer Soap Opera materialisiert. 1998 stellte das Gala Committee seine Mitarbeit an den Requisiten für „Melrose Place“ ein, auch weil inzwischen die Produktionsleitung Wind von der Sache bekommen hatte. Aber immerhin, fast drei Jahre lang war die Fernsehserie zur Plattform für künstlerischen Aktivismus geworden.

Dass das subversive Zubehör nun Wilhelm Schürmann gehört, passt zur Strategie. Denn der in Aachen lebende Sammler, der diesen Sommer eine Dependance seiner Kollektion am Rosa-Luxemburg-Platz eröffnet hat, interessiert sich schon seit den 80er-Jahren für Künstler, die als Kommunikationspiraten unterwegs sind. Er hat Julia Schers Installationen aus Überwachungskameras ebenso gesammelt wie die Fotos von Mike Kelly, die Vorlagen für Sonic-Youth-Plattencover waren. Vor allem macht Schürmann keinen Unterschied, ob ein Kunstwerk auf einem vertracktem Konzept basiert oder bloß verspielter Nippes ist, solange er nur über beides grübeln, staunen und schmunzeln kann.

Die Requisiten aus „Melrose Place“ sind ein Zeichen für Schürmanns These, dass „Kunstwerke nicht endgültige Produkte verkörpern, sondern prozesshafte Abläufe, offene Strukturen“. Und an den Service wurde auch gedacht: Jeden Donnerstag werden in der „Shooter’s Bar“ Drinks ausgeschenkt, die von Künstlern, Kritikern und Kuratoren ausgewählt wurden. Vorgestern gab’s Kräuterschnaps, den in „Melrose Place“ wohl nie jemand getrunken hätte. Schon wegen der Quote. HARALD FRICKE

Bis 23. 9., Do. bis Sa. 16–19 Uhr, Schürmann Berlin, Weydinger Straße 10„Shooter’s Bar“, bis 26. 8., Di. bis Sa. 11–18 Uhr, Galerie Johanna Kamm, Rosa-Luxemburg-Straße 43–45