Eine Fabrik für Neue Musik

Über tausend Konzerte in mehr als 30 Ländern: Seit 15 Jahren fördert die „Musikfabrik“ in Köln besonders die Sparte Neue Musik. Doch die Grenzen zu Weltmusik, Jazz und Blues sind fließend

VON JÜRGEN SCHÖN

Der große Lagerraum ist angefüllt mit den schroffen und zugleich sensiblen Klängen von zwei Geigen, von Bratsche, Schlagzeug, Keyboard, Bass, Trompete und Klarinette. Im Hintergrund stapeln sich noch Percussionsinstrumente. Darunter auch ein Flugzeugpropeller: Er wurde vor ein paar Jahren beim „Ballét mecanique“ von George Antheil „gespielt“, einem Stück, das bereits 1923 Premiere hatte. „Eine wunderbare Zusammenarbeit ist das hier“, sagt der Berliner Komponist Stephan Winkler in der Kölner „Musikfabrik“. Mit neun Musikern studiert er gerade sein Stück „Vom Durst nach Dasein“ ein.

Noch zwei weitere Proberäume und das Büro liegen in dem architektonisch gesichtslosen Schuhkarton, umrahmt von ähnlichen modernen Gebäuden. Sie entstanden im Kölner Westen zu Hochzeiten von New Economy und IT-Technologie. Die richtige Umgebung für ein Unternehmen, das sich auch mit seinem Namen „Musikfabrik“ der Zukunft zugewandt gibt. Das Repertoire: Neue Musik. Das Etikett ist eindeutig wie vielfältig. „Die aktuellen Produkte der Schlager- und Popindustrie gehören auf keinen Fall dazu“, sagt Musikfabrik-Geschäftsführer Thomas Oesterdiekhoff. Zur Weltmusik seien die Grenzen aber fließend, ebenso zu Jazz und Blues. Auch improvisierte Musik gehöre dazu, besonders zeitgenössische, die ihre Wurzeln in der „Klassik“ hat. Dazu zählen Komponisten-Klassiker wie Arnold Schönberg und John Cage. „Wir wollen allen Verästelungen dieses Baumes nachgehen“, so Oesterdiekhoff. Dass zu wenig Nachwuchs gefördert würde, stimme nicht: „Es gibt leider mehr neue Stücke, als wir Konzerte geben können.“

Bislang gab die Musikfabrik über tausend Konzerte in mehr als 30 Ländern, darunter fast 300 Uraufführungen. In diesem Jahr hatte Peter Eötvös Oper „Angels in America“ Premiere. Bei den Gastspielen müssen bisweilen über sieben Tonnen Instrumente transportiert werden. Ein Dauerbrenner ist „Insideout“: Die Tanz-Theater-Video-Produktion zu Musik von Rebecca Saunders und die „choreografische Installation“ von Sasha Waltz steht bereits vor der 100. Aufführung. In diesem Jahr geht es bei der Geburtstagstournee durch 20 Länder, darunter Japan, Südamerika und das Baltikum.

Vor 15 Jahren wurde die „Musikfabrik“ vom Pianisten Bernhard Wambach und den Komponisten Gerhard Stäbler und Nikolaus A. Huber gegründet – in Düsseldorf. Der damalige Kultusminister Hans Schwier (SPD) nahm sie sofort als Landesorchester unter seine Fittiche. Damit wollte er NRW gegen Berlin positionieren. Heute beträgt der Jahresetat vom Land 450.000 Euro, hinzu kommen 250.000 Euro von der Kulturstiftung NRW.

Das reicht, um den Betrieb mit insgesamt zwei Verwaltungsstellen und das Ensemble mit durchschnittlich 16 Musikern aufrecht zu halten. Anfangs wurden noch wechselnde Musiker engagiert, doch das war eine fragile Struktur, die auf Dauer nicht tragbar war. Dazu wechselten häufig die Geschäftsführer, die nicht immer vom Fach waren.

Die „Palastrevolution“ fand 1997 statt: Die Musiker bilden ein festes Ensemble und wählen seitdem aus ihrer Reihe den Geschäftsführer. Dazu ist die Musikfabrik nach Köln umgezogen. Denn hier ist – neben Berlin und Stuttgart – eines der wichtigen deutschen Zentren für Neue Musik. Oesterdiekhoff schätzt hier die starke freie Szene mit vielen kleinen Projekten, bemängelt nur das Interesse der Musikhochschule. Da sei die Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule für Medien intensiver. Auch Thomas Oesterdiekhoff ist studierter Schlagzeuger. Manchmal juckt es ihn in den Fingern – dann spielt er einfach mit.

Geburtstagskonzert27. August, 20:00 UhrWDR Funkhaus, Köln