Olmert blickt voraus

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Vor dem Büro zum Premierminister in Jerusalem geben sich derzeit die Korrespondenten weltweit wichtiger Medien die Klinke in die Hand: Sky-Channel, BBC, Reuters, AP – Ehud Olmert, der sich sonst gern von der internationalen Presse fernhält, empfängt sie vier Tage nach dem Kana-Desaster alle.

Doch es gibt da ein Problem: Noch bevor sein Interview mit einer britischen Nachrichtenagentur zur Veröffentlichung freigibt, ist es schon überholt. Die Infrastruktur der Hisbollah im Südlibanon sei „komplett zerstört“, meinte Olmert – kurz darauf wird ein Fahrradfahrer im westlichen Galiläa von einer Rakete getötet. Allein gestern Vormittag gelang es den libanesischen Extremisten der Hisbollah, über 150 Katjuscha-Raketen auf den Norden Israels abzugeben. Und es gibt eine Neuerung: Zum ersten Mal traf es auch das Westjordanland, wo in einer offenbar unbewohnten Gegen bei Dschenin eine Langstreckenrakete einschlug.

Dabei bleibt die Vertreibung der Hisbollah aus dem Südlibanon das erklärte Ziel der israelischen Bodenoffensive. Die Armee dringt immer tiefer auf libanesisches Gebiet vor. Israelische Soldaten haben bereits das in der nördlichen Bekaa-Ebene liegende Baalbek erreicht.

Die libanesische Polizei meldete neunzehn Zivilisten, die bei Kämpfen in der Stadt getötet wurden. Israelischen Informationen zufolge starben mindestens zehn Kämpfer. Fünf Hisbollah-Aktivisten wurden gefangen genommen.

Olmert blickt unterdessen schon einen Schritt voraus. Die Offensive gebe seinem Plan, aus Teilen des Westjordanlandes abzuziehen, „ein neues Momentum“, sagt er. Es war ein strategischer Fehler, das laut zu sagen, wie sich schnell herausstellte. Denn schon protestieren die rechtsnationalen Reservisten und weigern sich, im Libanon zu kämpfen, wenn das Ziel sei, „uns anschließend aus unseren Häusern zu vertreiben“.

Olmert sprach von „beeindruckenden, vielleicht sogar beispiellosen Erfolgen“. Es sei „mit Sicherheit“ möglich zu sagen, dass sich „das Gesicht des Nahen Ostens infolge des großen Erfolges des Staates Israel, der Armee und des israelischen Volkes verändert hat“, erklärte er. Die liberale Tageszeitung Ha’aretz interpretiert die Rede Olmerts als Vorbereitung für die Nachkriegszeit, wenn die Regierung die offensichtlichen Misserfolge der Armee werde rechtfertigen müssen.

Die Zeitung zitiert einen Offizier: „Bekämen die israelischen Schritte Zensuren, dann würden wir alle durchfallen.“ Schon jetzt rechnen Soldaten mit einem „Erdbeben in der Armee“, sobald es zu einer Untersuchung des Krieges komme.

Auch bei den Zivilisten in Tel Aviv zeigen sich wenige von Olmerts „Erfolgen“ beeindruckt. „Nach knapp drei Wochen fliegen immer noch jeden Tag hundert Raketen auf Israel“, meint Doron Manor, der ein kleines Restaurant in der zentralen Tel Aviver King-George-Straße besitzt. „Wovon redet Olmert?“ Es habe sich nichts geändert, sagt Manor und fürchtet, dass „der Krieg noch lange dauern wird“.

Die offiziellen Stellungnahmen sind verwirrend. „Bis zur Stationierung der internationalen Stabilisierungstruppe“ will Olmert die Offensive fortsetzen. Das kann Wochen dauern. US-Außenministerin Condoleezza Rice bleibt hoffnungsvoll, dass ein Waffenstillstand Angelegenheit von „Tagen“ sein werde. Die Chefdiplomatin hat es spätestens nach dem Angriff auf Kana alles andere als leicht, noch mehr Zeit für Israels Armee rauszuschinden. „Eure Unfähigkeit wird uns noch umbringen“, so zitiert das auflagenstärkste Blatt Jedioth Ahronot den Vorwurf aus Washington.

Restaurantbesitzer Manor jedenfalls bereitet sich schon jetzt auf Raketenangriffe auch auf Tel Aviv vor. „Das ist sich Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah schuldig“, sagt er. „Wir haben ausreichend Getränke und einen Fernsehapparat. Wenn die Sirenen losgehen, lassen wir die Metalljalousien runter.“