Vom Lieblingsfeind zum Bündnispartner

Gegen erbitterten Widerstand setzte Holger Börner den Bau der Frankfurter Startbahn West durch, wenig später schloss der überzeugte Sozialdemokrat die erste rot-grüne Koalition der Geschichte. Im Alter von 75 Jahren ist er in Kassel gestorben

Über das Scheitern von Rot-Grün ist Börner nie ganz hinweggekommen

AUS FRANKFURT AM MAIN KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Das 22 Jahre alte Foto an der Wand der Frankfurter taz-Redaktion zeigt einen 53 Jahre alten vitalen Holger Börner, der mit der Faust auf einen Konferenztisch schlägt. Eine historische Aufnahme. Die linksalternative Szene, vertreten durch zwei Redakteure der noch jungen taz und eine Kollegin des Frankfurter Stadtmagazins Pflasterstrand, war Anfang 1984 erstmals in der hessischen Staatskanzlei präsent. Eigentlich zum Interview. Doch dann ging es uns dreien nur noch darum, dem Ministerpräsidenten eine Koalition mit den Grünen schmackhaft zu machen.

Fast hätte er uns hinausgeworfen. Damals behauptete er noch, Bilder von Gesprächen zwischen ihm und den Grünen würden „wenn überhaupt, dann nur als Fotomontage“ zu sehen sein. Ein paar Monate später unterzeichneten Holger Börner und Joschka Fischer eine Tolerierungsvereinbarung – und ein Jahr später den ersten rot-grünen Koalitionsvertrag der Geschichte.

Umgefallen ist Börner deshalb nicht. Die Zeit war für ein solches Bündnis einfach reif, und die bloße Tolerierung erwies sich in der Regierungspraxis als untaugliches System. „Auch in Phasen intensivster politischer Auseinandersetzungen konnte niemand die Lauterkeit seiner Motive in Frage stellen“, schrieb der amtierende Ministerpräsident Roland Koch (CDU) gestern in einem Nachruf auf seinen Vorgänger. In einem späteren Gespräch mit der taz sagte Börner, es sei ihm darum gegangen, „die Protestgeneration für die repräsentative Demokratie zu gewinnen“. Und natürlich um „das Beste für die SPD“.

Denn Börner war Parteisoldat durch und durch. Nach einer Serie von Wahlniederlagen der SPD in Hessen hatte er 1976 sein Bundestagsmandat niedergelegt und auf Wunsch der Bundespartei das Ruder in dem Bundesland übernommen – erst als Ministerpräsident, später auch als Parteichef. Es gelang ihm überraschend schnell, die Regierungspartei in der Koalition mit der FDP zu stabilisieren.

Anschließend führte Börner die hessische SPD durch die Kämpfe um den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen, in denen sie fast zerrieben wurde. Mit eiserner Faust setze er den Rollbahnbau gegen alle Widerstände in den eigenen Reihen durch. „Vor 40 Jahren auf dem Bau hätte ich einen Angriff auf meine Person mit der Dachlatte beantwortet“, sagte Börner damals. Das Wort von der „Dachlatte“ hing ihm in der Öffentlichkeit lange nach.

So avancierte er zum Lieblingsfeind der Startbahngegner und der neu gegründeten grünen Partei. Morddrohungen habe er damals erhalten, sagte Börner Anfang dieses Jahres in einem letzten Interview. Er war davon überzeugt, dass sein Stellvertreter Heinz-Herbert Karry (FDP) 1981 „von Tätern aus dem militanten Umfeld der Startbahn West“ ermordet worden sei. Die Bluttat wurde von den Ermittlungsbehörden nie aufgeklärt.

Sozialdemokrat wurde Börner 1948 im Alter von 17 Jahren. Schon der Großvater war in der SPD, und der Vater saß wegen seiner Überzeugung im KZ. Der junge Mann wollte eigentlich Journalist werden, erlernte dann aber den Beruf des Betonfacharbeiters – um die alleine erziehende Mutter finanziell zu unterstützen. Als fleißiger Parteiarbeiter und Gewerkschafter machte er schnell Karriere – erst als Kommunalpolitiker in Kassel, ab 1957 im Bundestag, 1961 schließlich als Bundesvorsitzender der Jusos. Anschließend war Börner Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und – für seine Parteikarriere entscheidend – ab 1972 Bundesgeschäftsführer der SPD.

Dass die historische rot-grüne Koalition in Hessen nur 15 Monate hielt, ist seine persönliche Tragödie. Nach einem langen Streit um die Genehmigung der Plutoniumfabrik Alkem und einem Schwächanfall im Landtag besiegelte Börner mit seinem Entlassungsschreiben an Fischer das Ende der Koalition. Ganz darüber hinweggekommen ist er nie – auch wenn ihn Willy Brandt 1987 an die Spitze der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung stellte, die er bis 2003 leitete.

Holger Börner stand immer mit seiner ganzen Persönlichkeit für das politische Establishment der zweiten Nachkriegsgeneration, auch in den Auseinandersetzungen mit der revoltierenden Generation der Post-Achtundsechziger. Zuletzt war „der Dicke“, wie ihn seine Freunde in den Achtzigerjahren gerne nannten, nur noch ein Strich. In der Nacht zum Mittwoch starb der vielleicht letzte Sozialdemokrat in der SPD an Krebs, im Alter von 75 Jahren.