Die Turnschuhapokalypse

Regisseur Andreas Struck variiert in „Sugar Orange“ (22.45 Uhr, ARD) die unendliche Geschichte von jungen, schönen Menschen, die alles haben und doch ewig suchen. Wonach genau, wissen sie nicht

VON JUDITH LUIG

Das komplexeste Gespräch in „Sugar Orange“ ist die Bestellung von zwei Mandelhörnchen. „Möchten Sie sonst noch was?“ – „Nein, danke.“ Zugleich ist dieser Kauf auch die einzige Kommunikation, die in dem 2003 gedrehten Beitrag zur Reihe „Debüt im Ersten“ glückt. Und als nach 60 Minuten schließlich ein banaler Dialog zwischen Leo und Lena, dem Liebespaar des Films, zustande kommt, wünscht man sich gleich wieder zurück in die einsilbige erste Stunde.

„Sugar Orange“ variiert die unendlichen Geschichte von jungen, schönen Menschen, die alles haben und doch ewig suchen. Regisseur Andreas Struck erzählt sie in Bildern: Discobesitzer Leo (Lucas Gregorowicz), wie er im Flimmerlicht langsam mit Lena tanzt, wie er einsam und ermattet im Designeranzug auf seinem aufgebockten Bett einschläft, wie er in sich zusammensackt, abschaltet, abhaut.

Leos Problem ist eines der Jetztzeit. Er hat Angst vor Bindungen, sucht Nähe genauso intensiv, wie er ihr entflieht. Die geisterhafte Stimmung erinnert an Christian Petzolds „Gespenster“. Beide Filme haben dieselbe Hauptdarstellerin: die najadengleiche Sabine Timoteo.

Mit vielen wunderbaren Aufnahmen, orange und blauen Farbtönen, verschwommenen Nachtfahrten über die Kölner Ringe und sommerliche Badetagen in Brandenburger Seen entwickelt Struck das Schicksal seiner Figuren, eine Geschichte aus der Gegenwart, wie sie ebenso kunstvoll erzählt in jeder Ausgabe des Nicht-erwachsen-werden-Wollen-Magazins Neon steht.

Es hätte gereicht, nur diese Endzeitstimmung in Kapuzenshirt und Turnschuhen, aufgehellt durch Lenas Lächeln, zu zeigen. Doch Andreas Struck stellt der Liebe seiner Twentysomethings im 21. Jahrhundert noch eine Kinderfreundschaft in den 80ern gegenüber, vielleicht um seinen Bildern doch etwas mehr Tiefgang zu geben. Leo ist immer noch der Elfjährige im knatschorangefarbenen Zelt, das ihn und seinen Freund Clemens gegen die Außenwelt abschirmt. Warum er sich nicht an Lena binden kann, wird in einer der Rückblenden mit einem Unfall erklärt, bei dem der eine Freund den anderen im Stich ließ. Damit beschädigt Struck die mysteriöse Stimmung, die er mit so viel Mühe aufgebaut hat.

„Sugar Orange“ ist ambitioniert wie ein Abschlussfilm. Wer nicht selbst zur verlorenen Jugend gehört, wird die Faszination, die sie auf Struck ausübt, schwer teilen können. So wie Lena, die Leos Orientierungslosigkeit rätselnd gegenübersteht und sich letztlich mit seinem Fatalismus anfreunden muss. „Das ist eine lange Geschichte“, antwortet er, als sie eine Erklärung für seine Fluchten verlangt. „Die erzähle ich dir später.“ Dann küssen sie sich.