Oben und unten undicht

Der Grandseigneur ist not amused: Annette Pehnt und Wilhelm Genazino führten im LCB ein kleines Lehrstück in Sachen schriftstellerischen Generationenkonflikts vor

Dass Literaturkritik eine Sache ist, bei der es auch mal etwas heftiger zur Sache gehen kann, ist bekannt. Auch das Literarische Colloquium, das so friedlich an den Ufern des Wannsees gelegen ist, schafft es mit dem „Studio LCB“ immer wieder mal, das Podium so zu besetzen, dass am Ende wenigstens ein Hauch von Skandal durch die Feuilletons weht. Wie vor nicht allzu langer Zeit die Brüllattacke („Du Arschloch!“) von Maxim Biller gegen Hubert Winkels, welcher für Billers Gefühl die Neutralitätspflicht des Moderators verletzt hatte. Da Maxim Biller im Moment wieder in andere Debatten und Prozesse verstrickt ist, mussten am Dienstagabend andere ins „Studio LCB“, um für Stimmung zu sorgen.

Wilhelm Genazino und Annette Pehnt nämlich, der eine alt, die andere jung, beide aber vom Literaturbetrieb fast ohne Gegenstimmen gefeiert. Mehr noch: Beide arbeiten sich, so scheint es, in ihren Büchern an ähnlichen Faszinosa ab: an der Neugier aufs Abwegige, an Existenzen, die sich aus dem Maintream heraus in dessen Jenseits entwickeln. So umschreibt Pehnt ihre Inspiration fürs Schreiben, und darin sieht sie auch ihre Nähe zu Genazinos poetischen Lebensentwürfen. Das könnte nach Leerformel klingen. Aber wer Pehnts erste Romane gelesen hat, der weiß, dass sie mit ihren Figuren – die sich mit einer sanften, manchmal traumwandlerischen Eigensinnigkeit den Konventionen des Alltags entziehen – etwas Neues platziert hat in der jüngeren deutschen Literatur. Da ist Dorst, der ewig spazieren gehende Antiheld aus Pehnts Debüt „Ich muß los“, der allen Annäherungsversuchen durch die Finger rinnt. Auch die Heldin aus Pehnts 2003 erschienenen Roman „Insel 34“ verstört mit ihrer alles vergessenden Hingabe an das kleine Rund im Meer nicht nur die elterliche Karriereplanung, sondern auch den Leser.

Nun hat Pehnt die Abwegigkeit institutionalisiert. Ihr im Herbst erscheinender Roman „Haus der Schildkröten“, den sie in Ausschnitten im Literarischen Colloquium vorstellte, spielt in einem Altersheim. Und nicht nur Genazino, dieser ausgewiesene Experte für skurrile Eigenbrödler, mag den Eindruck haben, dass Pehnt es sich mit der Fortschreibung ihrer Geschichte des Abweichlerischen ein bisschen einfach gemacht hat. Denn wenn Bratensaft aus weltvergessenen Mundwinkeln tropft und Schnabeltassen siechen Verwandten zwischen die Lippen gestoßen werden, büßt das Abweichen von der Norm doch einiges von seiner Poesie ein. Dafür erntet es bei den Zuhörern im LCB umso mehr Lacher.

Nicht von Genazino allerdings. Der nämlich kann mit jungen Frauen gerade nicht so gut. Eben erst hat ihm Veronica Ferres sein jüngst für die Ruhrtriennale geschriebenes Stück „Courasche oder Gott lass nach“, das von einer alternden Prostituierten handelt, vor die Füße geworfen. Und jetzt liest ihm auch noch Annette Pehnt vor, dass alte Männer oben und unten undicht sind. Das kann einem Grandseigneur der Literatur schon mal die Petersilie verhageln.

So redet Genazino in seinem Kommentar zwar brav über poetologische Konstruktionsweisen und schriftstellerisches Handwerk. Doch kann er sein Missfallen über das junge Ding neben ihm auf dem Podium kaum verbergen. Weder schaut er die Kollegin an, noch nennt er ihren Namen. „Die Autorin“, sagt Genazino immer wieder, als säße Pehnt meilenweit unter seinem Hochsitz. Dass Genazino nicht „diese Person“ sagt, scheint eher ein Akt der Selbstbeherrschung.

Annette Pehnt erzählt, dass sie ihrem neuen Roman ein Genazino-Zitat vorangestellt habe. Fast peinlich der Eindruck, dass sie diesen Paten, der alles, aber bloß keine Verwandtschaft zu wünschen scheint, schlecht gewählt hat. Vielleicht hätte Maxim Biller ihn hinterher dafür beschimpfen können.

WIEBKE POROMBKA