UNTER KINDERN
: Voller Respekt

Die Kinder mümmelten verzückt und friedlich an der Pizza

Die Kinder auf dem Spielplatz der Kita nebenan schreien „Tatü-tata!“, wenn sie mit ihren Bobbycars über die Gehplatten fegen. Ich kann sie von meinem Bad aus hören. Die Stimme der begleitenden Erzieherin ist naturgemäß dunkler und herrisch, die Kinder, die wie für einen Feldzug im Osten oder wahlweise einen Skiausflug in den Alpen ausgestattet sind, dick eingekleidet also, schauen sie voller Respekt an und warten auf die nächste Anweisung.

Ich erinnere mich, wie diese Kita, die als engagiert gilt und durchaus einen gesunden Eindruck macht, vergangenes Jahr ihr Sommerfest feierte – ein Mann kam mit seiner Gitarre und versuchte, den Kindern seine viel zu komplizierten Protestlieder ans Herz zu legen. Im Grunde, dachte ich, spielte er nur für sich selbst. Und hat sich dafür ein willfähriges Publikum gesucht. Armselige Pädagogik.

In einer Science-Fiction-Geschichte las ich von einer Utopie, in der Schwangere grundsätzlich des Landes verwiesen wurden. Sie sollten auf keinen Fall den reibungslosen Ablauf einer perfekt durchrationalisierten Gesellschaft stören. In einem nahen Ausland sollten sie dafür gerechte Pflege erfahren. Nach der Geburt durften sie zurückkehren. Die Kinder jedoch blieben bis zur Volljährigkeit – immerhin mit sechzehn, zum Abschluss der Pubertät –, dort.

Als ich meine Wohnung verließ, es war weit nach Mittag, ich hatte einen freien Tag, sah ich die Kita-Gruppe dann einträchtig vor der Pizzeria an der nächsten Straßenecke sitzen. Die Kinder mümmelten verzückt und friedlich an den ihnen bestimmt riesig erscheinenden Pizzastücken. Ein versöhnliches Bild.

In dem Café, in das ich mich zum Zeitungslesen begeben hatte, schrie ein Kind in einem Kinderwagen, als ob es selbst noch eines gebären würde. Ein anderes warf mit Schachfiguren, weil es gegen seinen größeren Bruder verloren hatte. RENÉ HAMANN