Die Freimaurer treten aus dem Dunkel

Unter dem Titel „Licht ins Dunkel“ zeigt das Bremer Focke-Museum eine Ausstellung über die wechselhafte Geschichte der Freimaurer in der Stadt. Initiiert hat die Schau der 83-jährige Freimaurer Wilhelm Klocke. Dass die Ausstellung die Logen auch in kritischem Licht zeigt, stört ihn nicht

„Die Alten saßen in einer Ecke und diskutierten über die Vergangenheit“

von FRIEDERIKE GRÄFF

Knochen auf rasch zusammengezimmerten Särgen waren das erste, was Wilhelm Klocke von den Freimaurern sah. Damals war er Pimpf bei der Hitlerjugend, die man zu einer Propaganda-Ausstellung nach Hannover geschickt hatte. Als er zu Hause von der Ausstellung erzählen wollte, sagte sein Vater: „Ich bin Freimaurer. Und dein Onkel ist es auch.“ Mehr sagte er nicht und nach mehr fragte Wilhelm Klocke auch nicht.

Er ist selbst Freimaurer geworden. Aber er hat dieses Schweigen nicht fortführen wollen und vielleicht fürchtet er auch, dass die Leute nicht viel mehr über die Freimaurer wissen als zur Zeit der Propaganda-Ausstellung. Also fragte er den Direktor des Bremer Focke-Museums: „Warum kommen die Freimaurer nicht in der Dauerausstellung vor? Sie waren doch wichtig für die Stadt.“ Der Direktor wandte ein, dass es an Exponaten mangle und auch an Geld, aber das wollte Wilhelm Klocke nicht gelten lassen. „Das organisiere ich“, sagte er. Und organisierte es.

Wilhelm Klocke ist 83 Jahre alt, aber er hat weniger mit der Vergangenheit, denn mit der Gegenwart im Sinn. Einer Gegenwart, die vieles an den Freimaurern befremdlich findet: dass die Vereinigten Großlogen von Deutschland gemischte oder rein weibliche Logen nicht anerkennen, dass sie sich ihre Mitglieder selbst aussuchen. Im Focke-Museum sind Interviews mit Kritikern dieser Traditionen zu hören, die das veraltet und elitär nennen. „Es war abgesprochen, dass das Museum alle wissenschaftliche Freiheit hat“, sagt Klocke dazu. Ihm gefällt die Ausstellung und das könnte man als Zeichen dafür nehmen, dass die von den Freimaurern angestrebte Selbstvervollkommnung durchaus gelingen kann.

Aber es ist nicht diese Idee der Selbsterziehung nach aufklärerischen Idealen, die die meisten Leute mit den Freimaurern verbinden, sondern es wird von geheimen Ritualen geraunt, von okkulten Praktiken und strengster Geheimhaltung. Die wohl durchdachte Ausstellung im Focke-Museum räumt damit gründlich auf: Beginnend mit einem Filmausschnitt aus der Propaganda-Ausstellung der Nationalsozialisten, zeigt sie Freimaurer-Gerätschaften und Möbel in labyrinthartig verschachtelten Gängen und kleinen Separées, stellt einen Tempelraum nach – und nimmt den Ritualen gerade in der Veranschaulichung die mystische Verbrämung.

Wer hier erfährt, dass die Freimaurer aus mittelalterlichen Steinmetzbruderschaften hervorgegangen sind, wird ihre Terminologie deutlich weniger kryptisch finden: sei es der „Allmächtige Baumeister aller Welten“, der für ein allgemeines Schöpfungsprinzip stehen soll, sei es die Abstufung der Freimaurer in Lehrling, Geselle und Meister als drei Grade der persönlichen Weiterentwicklung auf dem Weg zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Und wer sich die Verfolgung durch die katholische Kirche klar macht, wird eher verstehen, warum der Gebrauch eines Passwortes oder die Abstimmung über Neu-Mitglieder ursprünglich nicht der Geheimniskrämerei diente, sondern dem Schutz vor Verfolgung. Dabei haben sich die Freimaurer nie als Religion oder Sekte verstanden: Die liberalen unter ihnen legen Bibel und Koran auf ihren Altar, die eher christlich orientierten verlangen ein Bekenntnis zur christlichen Ethik – nicht jedoch zum Christentum.

Dabei zeigt die Ausstellung ebenso deutlich, dass Rituale und soziale Abgrenzung für einige Mitglieder ebenso den Reiz des Freimaurertums ausmachen mögen: Die Speisekarten anlässlich eines Stiftungsfestes sprechen von Seezungenfilet und gefülltem Puter und die Porträts der Logenmeister von bürgerlichen Karrieren als Senatoren, Ärzte oder Unternehmer. Und was das Zubehör anbelangt, so haben sich längst Internethändler gefunden, die die Brüder beliefern mit den „Kanonen“ genannten Trinkgläsern, mit dem „Schurz“, einer Art Kleinschürze, die über dem Smoking getragen wird und auf Wunsch auch mit Baseballkappen mit aufgesticktem Zirkel und Hammer.

Doch die Rituale und auch das Streben nach Selbstvervollkommnung haben bei den deutschen Freimaurern nicht zu Distanz zu den Nationalsozialisten geführt. Im Gegenteil: Wo es in der Vergangenheit noch jüdische Logenmeister gegeben hatte, suchten sich die vielfach nationalkonservativen Logen frühzeitig den Nationalsozialisten anzubiedern. Sie benannten sich in „deutsch-christliche Orden“ um und schlossen ihre jüdischen Mitglieder aus. Doch es half ihnen nichts: 1933 wurden bremische Logenhäuser vom Nazi-Mob überfallen, 1935 alle Logen in Deutschland verboten. Nur eine Minderheit löste sich selbst auf. Nüchtern heißt es auf einer Ausstellungstafel: „Wirklichen Widerstand gab es aus Freimaurerkreisen nur selten.“ 1935 wurden in Bremen alle im öffentlichen Dienst stehenden Freimaurer entlassen. Einige trafen sich weiterhin bei verdeckten Treffen als Kegelclub oder Stammtisch.

Nach Kriegsende gründete man sich in Bremen neu – und stellte dabei all jene Logen, die sich allzu bereitwillig den Nationalsozialisten angedient hatten, erst einmal zurück. Wilhelm Klocke, der, aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, ein Architekturbüro gegründet hatte, trat 1948 der Herderloge bei. „Die Alten saßen in einer Ecke und diskutierten über die Vergangenheit“, sagt er. „Die Jungen saßen in einer anderen Ecke.“ Klocke war auf der Suche nach neuen Idealen, nachdem diejenigen, die die Nationalsozialisten ausgerufen hatten, endgültig diskreditiert waren. „Ich wollte mein Verhältnis zu meinen Mitmenschen so regeln, dass es harmonisch ist“, sagt er.

Seines zu den Frauen ist gut, solange sie nicht Einlass zu den Logen begehren oder, wie in Bremen jüngst geschehen, eine gemischte Loge gründen. „Trittbrettfahrerei“ nennt das Klocke, der findet, dass die Anwesenheit von Frauen mit ihrem „Wer hat welches Kleid an“-Gestus der Ernsthaftigkeit abträglich sei. Dass mittlerweile auch junge Türken Freimaurer in seiner Loge sind, begrüßt er dagegen, so wie er sich auch sonst wenig Sorgen über die Zukunft der Loge macht. „Wer ein interessantes Programm macht, zu dem kommen auch die Leute“, sagt er. Und obwohl in der Ausstellung des Focke-Museums von rückläufigen Zahlen die Rede ist, sagt der Großsekretär der Vereinigten Großlogen Deutschlands nur Positives über die Mitgliederzahlen: 14.000 seien es derzeit, bei leicht ansteigender Tendenz.

Wihelm Klocke scheinen die Zahlen weniger zu beschäftigen. Er hat sich lange um die Wohltätigkeits-Projekte gekümmert. In Bremen hat die Herder-Loge in den späten 60er Jahren einen Fonds für bedürftige Studenten angelegt. „Wir wissen selbst, was wir mit dem Geld machen wollen“, haben die Studentenvertreter damals gesagt, aber das war nicht im Sinne der Freimaurer. Wie es auch nicht in ihrem Sinne ist, sich mit diesen Aktivitäten nach außen zu wenden. „Es ist nicht freimaurerisch, so zu denken“, sagt Klocke. Es scheint, als habe er es auch nicht freimaurerisch gefunden, dass die Brüder zurückhaltend bei den Spenden für die Ausstellung waren. Da hat er selbst das Geld beigesteuert.

Die Ausstellung „Licht ins Dunkel – Freimaurer und Bremen“ ist bis zum 29. 10. im Focke-Museum zu sehen