Ein genereller Strafnachlass wäre Politik nach Berlusconi-Art
: Institutionalisierte Gnade

Das ist nicht so oft zu haben: Zwei Minister der gleichen Regierung verkünden völlig entgegengesetzte Wahrheiten über einen – von ihrer Koalition angestoßenen – Beschluss des Parlaments. Italiens Abgeordnetenhaus will einen generellen Strafnachlass – und Justizminister Clemente Mastella jubelt. Ein Akt der Humanität sei das, der für etwas menschlichere Zustände in den Gefängnissen sorgen werde. Sein Kabinettskollege Antonio Di Pietro dagegen tobt. „Unmoralisch“ findet er den Beschluss.

Das Dumme ist: Beide haben Recht. Die Zustände in Italiens überfüllten Knästen sind katastrophal. Die Rechtspolitik unter Berlusconi mit der Verschärfung etwa des Drogen- oder des Ausländergesetzes hat die Zahl der Inhaftierten binnen weniger Jahre um etwa 10.000 anschwellen lassen. Plausibel ist da das Argument, dass der Strafnachlass mit der sofortigen Freilassung von über 12.000 Personen Luft schafft.

Aber neben populistischer Härte für Dealer und Hühnerdiebe gab es unter Berlusconi sehr viel Verständnis für Weiße-Kragen-Täter, schon um den Ministerpräsidenten selbst und einige treue Freunde aus der Schusslinie der Justiz zu bringen. Mit großem Erfolg: Wirtschaftskriminelle sucht man in Italiens Gefängnissen vergebens.

Deshalb wollte es vielen auf der Linken auch nicht einleuchten, wieso jetzt Milliardenbankrotteure oder jene einschlägig bekannten Politiker, die Beamte und Richter bestochen haben sollen, ebenfalls vom Strafnachlass profitieren sollen. Zur Leerung der Haftanstalten trägt das nicht bei: Sie sind sowieso schon draußen oder verbüßen – wie der Berlusconi-Intimus Cesare Previti – ihre Strafe als Hausarrest, im luxuriösen Privatpalais. Den Tausenden Häftlingen, die jetzt vorzeitig freikommen, mag man den Gnadenakt gönnen. Und doch ist das Signal fatal: Gerade jene Mitte-links-Regierung unter Prodi, die doch Schluss machen sollte mit der unter Berlusconi institutionalisierten Gnade für die Reichen und Mächtigen, schickt ausgerechnet Berlusconi und seinen Freunden einen weiteren Gnadenakt hinterher. Michael Braun