Androiden kneifen nicht

FERNSEHEN DER ZUKUNFT Judith Rakers moderiert künftig mit Giovanni di Lorenzo die Radio Bremen-Sendung „3 nach 9“. Bislang, so Programmchef Dirk Hansen über ihre Vorzüge, stehe die Tagesschausprecherin schließlich für das genaue Gegenteil von Talkshow. Und ist bestimmt nicht so widerborstig wie Charlotte Roche

Wieso Rakers sich für den Job eignet, beließ der Sender im Dunkeln

Noch steckt die Androiden-Entwicklung in den Kinderschuhen. Selbst die Bremer Robotik, die zu den international führenden zählt – gerade erst hat sie den Fußballweltmeistertitel verteidigt – hat noch keine Elektro-Puppe vorgestellt, die eine so komplexe interaktive Aufgabe wie ein Gespräch bewältigen könnte. Deshalb müssen jene umdenken, die vermutet hatten, die Tagesschau-, und Ex-Hamburg-Journal-Sprecherin Judith Rakers wäre der streng geheim entwickelte Prototyp des JR-08/15 (blond) im Testlauf. Durch den hätten, bei nachgewiesener Serienreife, die Kosten von Nachrichtensendungen erheblich gesenkt werden sollen: Das Geld wird knapp, gerade bei der kleinsten ARD-Anstalt, also Radio Bremen.

Dort wird JR-08 nämlich…, nein!, falsch!, noch einmal: Dort soll nämlich die in Paderborn geborene Rakers Gespräche führen, die nicht per Teleprompter eingespeist werden können, sprich: Sie moderiert neben Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo die Talkshow „3 nach 9“. Die heißt so, weil ihr Sendetermin stets nach 21 Uhr liegt und sie früher von drei Menschen verbal geleitet wurde, von denen irgendwann einer wegfiel, was billiger ist. Beachtung verdient sie als älteste deutsche Talkshow, die das genretypische Themenspektrum von Tratsch über Buch-, Film- und CD-Präsentationen bis hin zu Klatsch abgesteckt hat. Gebräuchliche Sprach-Prozessoren wären damit bei Weitem überfordert.

Rakers ist nicht die erste Nachrichten-Sprecherin, die neben der Tagesschau eine Zweit-Karriere startet: Zuletzt hatte Eva Herman Aufsehen durch ihre Erläuterungen zu den Toten der Love-Parade – Sodom und Gomorrha – erregt. Unvergessen ist auch Susan Stahnke, die in die Filmbranche wechselte. Debütiert hätte sie 1999 beinahe als Carin Göring, stolperte jedoch zuvor unglücklich über ein Damenpissoir. Die erste Hauptrolle erhielt sie wenig später im preisgekrönten Streifen „Die Darmspiegelung“, dann überzeugte Stahnke im nicht ganz so erfolgreichen Thriller „The Detonator – Spiel gegen die Zeit“ (2003) durch die feinfühlige Darstellung einer Sekretärin, die ahnungslos eine Briefbombe öffnet.

Wieso Rakers sich für den Job eignet, beließ der Sender im Dunkeln: Programm-Chef Dirk Hansen wies kryptisch darauf hin, dass sie für „das genaue Gegenteil“ dessen stehe, was Talkshow bedeute, Rakers eigene Statements klangen schlecht verlötet: Es handele sich um einen „Ritterschlag, für den jeder niederkniet“, artikulierte sie, wobei aber „nur das schnelle Aufstehen wichtig“ sei, weil die Aufgabe „Stehvermögen“ erfordere. Aber das wird sich nachjustieren lassen.

Wichtiger ist, dass sie mit di Lorenzo harmoniert. Zum 30-jährigen Bestehen der Sendung hatte der 2004 bekannt, seine damalige Kollegin Amélie Fried vor jeder Sendung in den Po kneifen zu müssen, eine Angewohnheit, von der er nicht loskomme. Nach ihrem Abschied hatte man 2009 Charlotte Roche als seine neue Partnerin vorgeführt: Eine temperamentvolle Frau, witzig, schroff und intelligent – nicht der Typ, der Attacken klaglos duldet. Nach drei Sendungen kam’s zur Trennung.

Dann probierte Radio Bremen sechs Moderatorinnen aus, darunter Rakers – jedoch ohne sichtbares Ergebnis. Androiden allerdings sind schmerzfrei, abwaschbar – und sie kneifen nie zurück. BENNO SCHIRRMEISTER