Luftangriffe bevorzugt

Israels Regierung will die Bodenoffensive erst einmal nicht ausweiten – im Gegensatz zu Bombardements aus der Luft

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Das Sirenengeheul in Israels Norden geht zermürbend weiter. Die Zahl der gefallenen Soldaten steigt. Die Regierung in Jerusalem entschied gestern nach mehrstündiger Beratung, die Bodenoffensive im Südlibanon nicht auszuweiten. Verstärkte Luftangriffe aber sind wahrscheinlich.

Dass am Vortag Vertreter der internationalen Staatengemeinschaft von dem Aufruf zu einem sofortigen Waffenstillstand abgesehen hatten, wertet Jerusalem als grünes Licht für ihre Offensive gegen die Hisbollah. Justizminister Chaim Ramon nannte die Entscheidung der Diplomaten „eine – wenngleich zum Teil zähneknirschende – Zustimmung“ zur israelischen Offensive.

Während stärkere Bombardements aus der Luft erwartet werden, bleibt die Entscheidung gegen eine Ausweitung der Bodenoffensive in Israel umstritten. Die Armee fordert die Einberufung von Reservisten, um im Rahmen einer mindestens zwei Monate andauernden Masseninvasion die Region südlich des libanesischen Litani-Flusses von der „Hisbollah zu reinigen“, wie die liberale Ha’aretz berichtete. In Jerusalem herrscht jedoch die Sorge, ein weiterer Truppenaufmarsch könne in Damaskus missdeutet werden. Verteidigungsminister Amir Peretz lehnt vorläufig eine Ausweitung der Bodenoffensive ab.

Ein Grund dürfte die zunehmende Gefährdung der eigenen Truppen sein. Erst am Mittwoch waren bei Kämpfen um den libanesischen Ort Bint Dschbeil neun Soldaten gefallen. Ami Schreier, der Vater eines Gefallenen, rief öffentlich zu einer Fortsetzung der Offensive auf. „Wenn wir Zivilisten es nicht aushalten, wie sollen dann die Soldaten an der Front ihre Mission erfüllen?“ Handelsminister Eli Ischai forderte, die Bodentruppen „erst in Dörfer zu schicken, in denen sich Terroristen verstecken, nachdem sie zu Sandkästen gemacht wurden“. Die Zerstörung ganzer Dörfer rechtfertigte Minister Ramon damit, dass dort nur noch Sympathisanten der Hisbollah lebten. Die Zivilbevölkerung habe genug Zeit gehabt zu fliehen.

Die israelischen Kommentatoren zeigen sich angesichts der strategischen Misserfolge der Armee zunehmend ungeduldiger. Die Regierung habe noch immer kein klares Ziel formuliert, kritisiert Ari Schavit von Ha’aretz. Nach Ansicht von Joram Schweitzer vom Jaffee-Zentrum für Strategische Studien an der Universität Tel Aviv ist es Israel „nie darum gegangen, die Hisbollah zu zerschlagen“. Die Armee wolle die Hisbollah nur aus der Grenzregion vertreiben, um anschließend die UNO-Resolution 1559 und damit die Stationierung libanesischer Truppen zu bewirken. Niemand könne ernsthaft über die ungebrochene Schlagkraft der Hisbollah überrascht sein, so Schweitzer. Die Hisbollah hat, so wird geschätzt, 15.000 Katjuscha-Raketen.

Die israelische Armee wird die ihr zur Verfügung stehende Zeit nutzen, um die Infrastruktur und die Schlagkraft der Hisbollah so weit wie möglich einzudämmen, schätzt nicht nur Schweitzer. „Wir sind auf dem Gipfel der Operation“, meint der Militärexperte. Dabei kämpfe Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah einen „psychologischen Krieg“, er vernebele die Wirklichkeit: Die Zahl der toten Hisbollah-Kämpfer etwa „liegt mindestens fünfmal über dem, was sie zugeben“. Wäre er Karikaturist, sagt Schweitzer, würde er am Ende der Offensive „Nasrallah im Krankenbett und in Verbänden und Gips eingepackt zeichnen, noch immer die Hand mit dem V als Siegeszeichen hochhaltend“.

Unterdessen scheint die Moral der Zivilisten in Nordisrael trotz aller Katjuschas ungebrochen: „Wir sind stark“ und „Wir werden siegen“ sind der letzte Schrei bei israelischen Autoaufklebern.