„Vernichtung der Hisbollah ist unrealistisch“

Ali Fayad, der politische Chefstratege der Hisbollah, betont: Es stimme gar nicht, dass die Hälfte der Guerilla-Truppen zerstört sei. „Wir haben immer noch viele Überraschungen parat.“ Und Befehle aus dem Iran und Syrien erhalte die Hisbollah, anders als behauptet, nicht

taz: Herr Fayad, hat Hisbollah mit der Entführung, der israelischen Soldaten, nicht einen Konflikt provoziert, dessen Preis jetzt der ganze Libanon bezahlen muss?

Ali Fayad: Hisbollah ist keine isolierte Partei. In Bezug auf die Bevölkerung sind wir die größte Partei des Landes. Hisbollah hat die Israelis gefangen genommen, weil es einen staatlichen libanesischen Beschluss gab, der fordert die Freilassen der libanesischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen zu erwirken. Wir haben uns schon seit dem Jahr 2000 um deren Freilassung bemüht, aber die Israelis haben abgelehnt.

Trotzdem, ist der Preis, nämlich die Zerstörung des Libanon nicht viel zu hoch?

Ja, der Preis dafür ist sehr hoch und sehr schmerzhaft. Israel hätte nur auf unsere Verhandlungsposition reagieren müssen. Ich sage hier nochmals, dass es uns um drei wesentliche Punkte geht: Die Freilassung der libanesischen Gefangenen, den israelischen Rückzug der weiterhin von Israel besetzten „Schebaa Plantagen“, die libanesische Territorium sind, und außerdem muss Israel aufhören ständig unsere Grenze zu verletzen. Wenn Israel die Sache mit den Gefangenen positiv behandelt hätte, dann wären wir einer Lösung aus strategischer Sicht schon ein großen Schritt näher gekommen. Aber Israel hat einen anderen Weg gewählt, denn es geht ihnen in Wirklichkeit um die Vernichtung der Hisbollah, und das ist vollkommen unrealistisch. Selbst UN-Generalsekretär Kofi Annan hat erklärt, dass es keine gewaltsame Entwaffnung der Hisbollah geben kann.

Können Sie ruhig schlafen mit 400 toten Libanesen?

Ja, das tut uns sehr weh. Was soll ich sagen? Meine Häuser und die meiner Kollegen sind fast alle zerstört. Ganze Bezirke sind zerstört worden. Wir geben viele Opfer. Aber ich sage ihnen etwas. Auch wenn es niemals zwei israelische Gefangene gegeben hätte, Israel hätte einen anderen Grund gefunden, um diesen Krieg zu beginnen. Dies ist nur eine Ausrede. Eine Reaktion sollte immer mit der Aktion in Verhältnis stehen. Es ist unlogisch, dass man wegen der Entführung von zwei Soldaten ein ganzes Land zerstört.

Die israelische Armee hat erklärt, dass 50 Prozent des militärischen Potenzials Hisbollahs bereits zerstört sind, wie lange kann Hisbollah noch militärisch weitermachen?

Die israelische Armee hat die Amerikaner enttäuscht. Sie haben tatsächlich geglaubt, dass dieser Kampf in einigen Tagen erledigt sein wird. Auch wenn sie 50 Prozent der Raketenstellungen zerstört haben, warum gibt es jeden Tag trotzdem Raketenangriffe der Hisbollah in Richtung Israel. Israel hat fünf ganze Tage gebraucht, um ein kleines Dorf zu erobern, das gleich an der Grenze liegt. Außerdem stimmt es nicht, dass bereits die Hälfte unserer Streitkräfte zerstört wurde. Wir haben immer noch viele Überraschungen parat.

Aber die israelische Armee ist auf libanesischen Boden zurückgekehrt. Die Israelis sagen, sie hätten mit dem Dorf Bin Jubeil die Hauptstadt der Hisbollah erobert.

Alle wissen, dass es keine Hauptstadt der Hisbollah gibt. Bint Jubail hat gegenüber anderen Orten im Süden keine besondere Bedeutung. Israel braucht ganz einfach Siegesmeldungen um jeden Preis, damit sie der israelischen Bevölkerung Erfolge vorweisen können. Die Hisbollah ist eine Guerillabewegung und keine Armee im klassischen Stil, die einem Feind in einer geregelten Front gegenübersteht. Dann wäre Bin Jubeil tatsächlich eine Niederlage für uns. Wir wollen uns gar nicht auf geregelte Kampfhandlungen einlassen. Unsere Strategie ist es, den Feind in unser Gebiet hereinzulassen, um ihn danach auf unsere Weise zu bekämpfen. Je weiter er sich ausbreitet, umso verwundbarer wird er. Der Einsatz von israelischen Bodentruppen war ohnehin eine Art Notlösung. Weil der israelischen Luftwaffe die Zerstörung unserer Raketenstellungen nicht gelang, waren sie gezwungen Bodentruppen einzusetzen. Und das ist kein Vorteil. Die israelischen Bodentruppen sind deren Schwachpunkt. Je mehr die Israelis ins Land eindringen, umso mehr Probleme werden sie bekommen. Und zweitens je länger dieser Kampf dauern wird, desto geringer wird die Erfolgschance der israelischen Armee.

Haben Sie mit der Auslösung dieses Krieges nicht ihre Verbündeten Syrien und Iran vor ein Problem gestellt? Ein regionaler Flächenbrand ist nicht ausgeschlossen.

Wir leugnen nicht unsere Verbindungen mit Syrien und dem Iran. Sie haben uns im Kampf um die Befreiung der besetzten Gebiete viel geholfen. Aber das Dreieck Hisbollah, Syrien und Iran ist einfach eine Interessengemeinschaft. Jedem steht das Recht zu, seine Vorteile daraus zu ziehen. Hisbollah bekommt keine Befehle, weder vom Iran noch von Syrien. Wir sind eine nationale libanesische Befreiungsbewegung und nichts anderes. Wir folgen weder einer syrischen noch der iranischen Tagesordnung. INTERVIEW: KARIM EL-GAWHARY