Journalisten in der Schlussoffensive

PROZESS Die beiden wegen Verleumdung angeklagten „Sachsensumpf“-Rechercheure bekräftigen in ihren Schlussworten die Vorwürfe gegen den geringen Ermittlungseifer der Dresdner Staatsanwaltschaft

Insgesamt 100 Verfahren, meist wegen Verleumdung, sollen nach Angaben der Angeklagten gegen alle Zweifler an der Version von Justiz und Landesregierung laufen

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

„Es kann nur einen Freispruch geben, weil die Anklage willkürlich und falsch ist!“ Die ausführlichen Schlussworte der beiden Angeklagten im Dresdner Journalistenprozess um die „Sachsensumpf“-Berichterstattung gerieten zur Vorwärtsverteidigung, zu einer Anklage gegen das Gebaren der Dresdner Staatsanwaltschaft. „Die Staatsanwaltschaft hat dermaßen unsauber gearbeitet, dass man es gar nicht glauben will“, erregte sich der freie Journalist Thomas Datt, der gemeinsam mit seinem Kompagnon Arndt Ginzel vor dem Dresdner Amtsgericht wegen Verleumdung angeklagt ist.

Gemeint ist damit auch der ihm gegenüber sitzende Staatsanwalt Christian Kohle, der bereits für 6.000 Euro Geldstrafe plädiert hatte. Er und Oberstaatsanwalt Wolfgang Schwürzer gehörten zu den Ermittlern, die sich mit den 2007 aufgetauchten Vorwürfen eines Filzes zwischen Justiz, Immobilienszene und Leipziger Rotlichtmilieu befassten. Auffallend nachlässig, wie Datt und Ginzel für den Spiegel sowie Zeit-Online recherchiert haben.

Sie selbst seien erst relativ spät mit dem „Sachsensumpf“ befasst gewesen, berichtete Ginzel. Dann aber forschten sie nach den Frauen, die bis Januar 1993 im Leipziger Minderjährigenbordell „Jasmin“ zur Prostitution gezwungen wurden und die heute noch von der Nebenklage so hingestellt werden, als hätten sie sich gern in die väterliche Obhut des brutalen Zuhälters Michael W. begeben. Datt und Ginzel fanden aber nicht nur für ihr Leben traumatisierte Frauen vor. Auch in der heikelsten Frage, ob nämlich Justizangehörige und sogar der Richter im Prozess gegen W. von den Zeuginnen als Kunden im „Jasmin“ erkannt wurden, stießen sie auf einen merkwürdig geringen Ermittlungseifer der Staatsanwaltschaft. Sie formulierten entsprechende Fragen.

Im Prozess geht es gar nicht um Verdächtigungen oder gar Behauptungen, es könne im Prozess gegen W. zu Rechtsbeugungen durch den möglicherweise befangenen Richter Jürgen Niemeyer gekommen sein. Inkriminiert werden Passagen, die Arndt und Ginzel nicht selbst, sondern ein Spiegel-Redakteur formuliert haben. Und bei Zeit-Online sollen Passagen fälschlicherweise den Eindruck erweckt haben, sie stammten aus Protokollen der Staatsanwaltschaft. Thomas Datt findet es besonders bizarr, dass sich der als Nebenkläger auftretende frühere Richter Niemeyer in den Aussagen der Frauen durch die machohafte Beschreibung des Freiers „Ingo“ beleidigt fühlt, obschon er gar nicht „Ingo“ gewesen sein will und dies auch kein Journalist behauptet hat.

Datt und Ginzel sind alles andere als Krawalljournalisten oder Geschäftemacher, sondern ausgesprochen gründliche, ja sensible Rechercheure. Der seit April dauernde Prozess hat sie sichtlich mitgenommen und in ihrer Berufsausübung schwer beeinträchtigt. Arndt Ginzel sprach denn auch von „Einschüchterungsversuchen“, wenn sich Journalisten nicht mit der staatlichen Deutungshoheit von Vorgängen abfinden wollten. Insgesamt 100 Verfahren, meist wegen Verleumdung, sollen nach Angaben der beiden Angeklagten gegen alle Zweifler an der Version von Justiz und Landesregierung laufen, auch gegen die Zeuginnen aus dem „Jasmin“.

Unterstützt vom DJV und anderen Organisationen sehen sich beide Angeklagte als Verfechter der Pressefreiheit und wollen notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Am 13. August soll das Urteil gesprochen werden. Pikantes Detail am Rande: Der ebenfalls in Verdacht geratene und vom Justizministerium zeitweilig suspendierte jetzige Präsident des Amtsgerichts Dresden, Norbert Röger, hat sich mit dem Freistaat auf 12.500 Euro Schadensersatz geeinigt. Gefordert hatte er 250.000 Euro.