Imagepflege im Schulbuch

Dortmund will nicht länger als Kohlestadt dastehen und hat ein neues Schulbuch für Gymnasien entwickelt. Der Regionalverband findet die Einzel-Kampagne kontraproduktiv

VON KATHARINA HEIMEIER
UND PETER ORTMANN

Ein Gymnasiast in einem Erdkunde-Leistungskurs in Bayern könnte bald folgende Klausur schreiben müssen: „Beschreiben Sie die Lage des Zukunftsstandortes Phoenix im Dortmunder Stadtgebiet“. Die Aufgabe steht im Unterrichtsmaterial „Phoenix aus der Asche – Strukturwandel in Dortmund“, das Schülern in ganz Deutschland das neue Ruhrgebiet nahe bringen soll. Ausgedacht hat sich das der ehemalige Lehrer Rainer Koch aus Dortmund. „Das ist mein Beitrag zum Strukturwandel“, sagt er.

Ein aus Sicht des Stadtentwicklungsprojektes „dortmund project“ dringend notwendiger Beitrag. Die Stadt Dortmund hat Schulbücher als Imagebroschüren für sich entdeckt. „Man kann nicht früh genug anfangen, den Imagewandel in die Köpfe der Schüler zu bringen“, sagt der Sprecher des Projektes, Pascal Ledune. Der Stadtentwickler hat sich deshalb an der Entwicklung des Materials beteiligt und CD-Roms mit zusätzlichen Animationen gesponsert. Die Schüler sollen Dortmund nicht mehr als Stadt mit Hochöfen und Fördertürmen kennen lernen.

Genau dieses Bild aber findet sich beispielsweise in einem Schulbuch für Mecklenburg-Vorpommern. Unter der Überschrift „Das Ruhrgebiet im Wandel“ heißt es: „Heute gilt es als wirtschaftliches Problemgebiet. Wie werden aus bedeutenden Industrieräumen problematische Altindustriegebiete?“ Dazu sind Fotos von einem Hochofen, einem Stahl- und einem Walzwerk abgebildet.

Koch befürchtet: „Diese Bilder bleiben hängen.“ In seinem Beitrag für ein Geographie-Buch hat er deshalb den Bildern von Stahlwerken und Hochofen solche von Vorzeige-Strukturwandelprojekten wie der Logistikdrehscheibe Duisport gegenüber gestellt. Gerade das Phoenix-Gelände in Dortmund ist nach seiner Ansicht für den Erdkundeunterricht ein Anschauungsbeispiel par excellence. „Daran lassen sich sämtliche Städte- und Raumplanungsansätze zeigen“, schwärmt er. Das sei einmalig in Deutschland

Unter dem Titel „Vom Kohlenpott zur Zukunftswerkstatt“ wird das Phoenix-Projekt in den Materialien auf vier Seiten bearbeitet – mit Kartenmaterial, Statistiken zur Arbeitslosigkeit in Dortmund und Tabellen zur Entwicklung der Beschäftigung in der Mikrosystemtechnik. Dazu gibt es zwei Zeitungsartikel. Einen aus dem Jahr 1927 – „als die Schlote noch rauchten“ – und einen aus dem Jahr 2000, der mit dem Satz beginnt: „In Dortmund sprechen viele schon von einem deutschen Silicon Valley“. Jeder dritte Gymnasiast in NRW soll von dem neuen Image überzeugt werden. Das Unterrichtsmaterial bekommen Lehrer in ganz Deutschland. „Das sind unsere Multiplikatoren“, hofft Koch.

Beim Regionalverband Ruhr (RVR) sieht man diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. „Wenn das jede Stadt machen würde, wäre das für die Region kontraproduktiv“, sagt Burkhard Wetterau, der beim Verband den Schulbuchinformationsdienst Ruhrgebiet (SIR) leitet. Seit 20 Jahren versucht der Dienst – deutschland- und europaweit – den Blick auf die Region zu aktualisieren. Denn es gibt immer noch Schulbücher im Süden der Republik, die ein Zerrbild auf dem Stand der 1950er Jahre transportieren. Deshalb informiert SIR Schulbuchautoren und Lehrmittelhersteller regelmäßig über die Entwicklungen im Ruhrgebiet, redigiert Texte über die Region und liefert das neueste Fotomaterial. „Selbst in Japan oder Syrien interessiert man sich für unser Newsletter-Abo“, so Wetterau. Der sei in Westeuropa einmalig. Niemand liefere dort Informationen über eine ganze Region.

Seiner Meinung nach geht bei dem Engagement des „dortmund project“ die „unglaubliche Vielfalt im Ruhrgebiet etwas verloren“. Die Region habe eben noch nicht zu sich selbst gefunden und die Vorteile der Polyzentriertheit begriffen.