Vaters Land

Zwei Dokumentarfilme (heute und nächsten Dienstag, 22.45 Uhr, ARD), ein Motiv: die Suche nach den Wurzeln

Geschichte, so hat es der Regisseur Pier Paolo Pasolini einmal gesagt, sei der Versuch der Söhne, die Väter zu verstehen. Im Fall von „Mein Vater, der Türke“ allerdings versucht sich ein Film daran, die Geschichte des Vaters zu verstehen. Eine ganz persönliche Spurensuche. Mit der Handkamera und einem der stickigen Überlandbusse hat sich der Dokumentarfilmer Marcus Attila Vetter von Ankara aus auf den Weg ins anatolische Hinterland gemacht, um jenen Mann zu finden, von dem ihm nur der zweite Vorname geblieben war. Seinen Vater, den Türken, den alten Mann mit der Baseballkappe.

So unterschiedlich die beiden Dokumentarfilme sind, die das Erste heute („Suche Kind – Suche Eltern“) und am kommenden Dienstag („Mein Vater, der Türke“) um 22.45 Uhr ausstrahlt, so sehr eint sie dieses eine Motiv: das Irritierende der Identität, die Suche nach den missing links in der eigenen Biografie.

Da ist die 27-jährige Rebecca Knesch, geboren irgendwo in den Slums der südkoreanischen Stadt Mokpo. Da ist der 41-jährige Marcus Vetter, der seinen anderen Vornamen nicht verraten hat, wenn früher Freunde zum Spielen vorbeikamen. Namen können fremd bleiben und fremd werden.

Deshalb ist auch Rebecca Knesch auf der Reise. In „Suche Kind – Suche Eltern“ begleitet die Dokumentarfilmerin Caroline Goldie die junge Frau in das Land ihrer leiblichen Eltern. Man erfährt, dass sich in Südkorea eine umtriebige Kulturindustrie um die Sehnsüchte der Adoptiv- und Findelkinder kümmert. In der populären Fernsehshow „Achim Mandag“ hilft ein Millionenpublikum bei der Suche nach den Wurzeln. Rebecca Knesch, als Kleinkind nach Deutschland gekommen, macht sich lieber mit vergilbten Fotos auf den Weg. Und auf einmal behauptet einer, ihr Vater zu sein.

„Suche Kind – Suche Eltern“ ist ein präziser, fleißiger Film, lange recherchiert und anschaulich erzählt, zum Beispiel von den Adoptiveltern aus dem Hunsrück, die „Entwicklungshilfe zu Hause“ machen wollen. Und der zweijährigen Carolina, die im Institut für Familienfürsorge in Bogotá auf ihre neuen fremden Eltern wartet, in den Armen eine pinkfarbene Mickey Mouse. Der Film erzählt auch von Rebecca, die sich fragt, woher die Fragen nach der Herkunft kommen: „Es ist auch unter den Adoptierten nicht jeder der Meinung, dass das wirklich Sinn macht.“

„Mein Vater, der Türke“ geht derweil einen anderen Weg. Wo in „Suche Kind – Suche Eltern“ auch persönlichste Momente immer eine Allegorie auf das große interkulturelle Tauschgeschäft Adoption bleiben, verlässt Marcus Vetter nie seine radikal subjektive Perspektive. Ihm geht es nicht um Gastarbeiterschicksale – ihm geht es einzig um das Gastarbeiterschicksal jenes Mannes, der seine Mutter in einer Bundesbahnbaracke geschwängert hat. Der von der großen Liebe sprach und doch irgendwann heimging zu der anderen Frau und den anderen Kindern.

Wie aus so viel Enttäuschung, auch auf Seite seiner türkischen Halbgeschwister, auf einmal so viel Wärme erwachsen kann, davon erzählt sein Film. Gut möglich, dass Marcus Attila Vetter das beim Sichten des Filmmaterials nach seiner Rückkehr zum ersten Mal begriffen hat. CLEMENS NIEDENTHAL