Der Mythos als Mumie

Eine seltsam nostalgische Ausstellung in Philadelphia versucht, die 1980er und frühen 1990er Jahre zu rekonstruieren, die Köln zu einem Schmelzpunkt der internationalen Kunstszene machten

Schnöder Mechanismus: Wie in Köln einst Künstler vom Markt ausgeschlossen wurden

AUS PHILADELPHIAKATJA BEHRENS

Walt Whitman, Amerikas großer Dichter (1819-1892) starb in Camden, nahe Philadelphia. Dort hatte er viele Jahre seines Lebens verbrachte. Von seiner Kunst konnte er nicht leben, so arbeitete er als Journalist und schrieb über sich selbst drei glühende Rezensionen. Obwohl sich seine Bücher nur schleppend verkauften, wurde er von der avantgardistischen Bohéme umarmt – er hasste die Leute, die seine Werke protegierten und kauften. „Whitman is a rowdy, a New York tough, a loafer, a frequenter of low places, a friend of cab drivers“, lautete das Urteil eines Zeitgenossen. Vielleicht ist es ganz passend, dass eine Retro-Ausstellung über die ehemalige Kölner Kunstszene in den 1980er und 1990er Jahren, in der Martin Kippenberger, Jutta Koether und Albert Oehlen zusammen mit Kritikern, Rockmusikern und Galeristen eine verschworene Gemeinschaft bildeten, gerade in Philadelphia eröffnet wurde.

In jener Zeit war Köln eines der wichtigsten Zentren zeitgenössischer Kunst in Europa. Dieser Umstand, von heute aus betrachtet hat der eher mythologische Dimensionen, ist nun Ausgangspunkt einer Wanderausstellung, die den symbolischen Ort Köln mit der Kunst rückkoppeln möchte. Gezeigt wird alles, was dort seinen Anfang hatte nahm oder in irgendeiner Weise mit der Stadt und ihrer Szene in Berührung kam. „Make Your Own Life: Artists In and Out of Cologne“ im Institute for Contemporary Arts der University of Pennsylvania ist die erste von vier Stationen (es geht weiter nach Toronto, Seattle und Miami), die die internationale Ausstrahlung der damaligen Kunstszene, das wilde Leben jener Avantgarde zwischen Kneipe, Galerie, Night-Club und Off-Kunstraum einzufangen versucht. Die Zeit galt für viele Jahre als die treibende Kraft künstlerischer und pop-theoretischer Diskurse. Auch wenn es nichts Neues ist, den Kunstbetrieb als eng verflochtenes Netzwerk und Gestrüpp aus Eigennutz und Interessenvermischung zu kritisieren, lassen sich in Philadelphia doch interessante Einblicke gewinnen. Gastkurator Bennett Simpson vom Institute of Contemporary Arts in Boston wirft aus der Ferne einen – vielleicht ungewollt – soziologischen Blick auf das Phänomen kultureller Gruppenbildung. Jedenfalls zeigt er keine Scheu, die strategischen Bedingungen ihrer Aufrechterhaltung offen zulegen: Angeheizt von den kunst- und musiktheoretischen Texten in den Zeitschriften Spex und Texte zur Kunst konnten sich die Künstler einschreiben in einen Kontext, der das soziale mit dem künstlerisch-professionellen Leben eng verwoben hat. Wo aber auch gegenseitige Protektion die Regel war. Die kritische Untersuchung der damals –wie heute natürlich auch – wirksamen Mechanismen des Ein- und Ausschlusses anderer Künstler kann aber in der Rückschau allenfalls als Mumifizierung eines Mythos funktionieren.

Die Rechnungen der Bar Berimbau in Salvador, die Kippenbergers Getränkekonsum in seinem brasilianischen Fünf-Sterne-Hotel dokumentieren, tragen Grundrissskizzen all der Orte, in denen er jemals gelebt hat. Dieses Testament „Input-Output“, entstanden zwischen 1986 und 1992, ist aber nicht nur erinnerte Autobiographie, sondern zugleich ein Vermächtnis und Zeugnis bewusster Selbstzerstörung. Es zeigt die Verwirklichung eines stereotypen Lebensmodells, dessen gefährlichem und verführerischem Charme viele nicht widerstehen konnten. Das von Kippenberger ausgegebene Motto „Make Your Own Life“ liefert den Titel der Ausstellung: Mache dein eigenes Leben zum Ausgangspunkt deiner Kunst und ihrer Deutung.

Was ist in Philadelphia noch zu sehen? In einer schönen Performance in der Galerie Christian Nagel wiederholte die amerikanische Künstlerin Andrea Fraser (geb. 1965) eine Rede des betrunkenen Künstlers, die dieser einst in der Galerie hielt („Kunst muss hängen“, 2001). Die Video-Projektion lässt das verhaltene Lachen des Publikums zu den misslungenen Witzen hören – allerdings melancholisch gedämpft, denn ein Großteil von ihnen war wohl schon 2001 dabei. Ein schönes Beispiel für die Aneignung von Kunstgeschichte ist auch Josephine Prydes raumgreifendes Kettennetz („Chains“, 2004), eine Refernz an Eva Hesse und deren Übersetzung einer surrealistischen Ortsbesetzung. Wirklich lebendig aber war in den Staaten vor allem die Museumsaufsicht. Die Lady des Security Guard legte in der Ausstellung fröhlich Platten auf, sang und tanzte begeistert zu den Techno-Balladen von Justus Köhncke, deren Texte sie nicht verstand.

In Köln ist die Kunstszene heute abgewandert, hat sich verstreut und die Diskussionen über den Status von Malerei und die Rolle des Künstlers, sowie die Fragen nach Produktionsbedingungen, nach Subversion und offenem Werk haben sich verlagert oder erübrigt. So bestätigt die aktuelle Schau in Philadelphia lediglich, was sowieso schon jeder wusste: Der Kunstbetrieb ist ein verfilztes Netz. In Köln heißt dieser Inzest Klüngel. In USA ist es wenigstens ein gut gelaunter.

Bis 30.Juliwww.icaphila.org