Warte TV
: Nummer 43

Bürgerämter essen Zeit der Bürger auf

“Bitte ziehen Sie eine Nummer und warten Sie bis diese aufgerufen wird“, steht im Bürgeramt Neukölln auf einem Zettel an der Wand des Wartezimmers. Ich ziehe eine Nummer, die 48 und schaue auf die elektronische Anzeige. Dort werden gerade die Nummern 29, 30 und 31 aufgerufen. Das sollte schnell gehen. Es ist viertel nach neun Uhr Morgens und ich bin hier um ein polizeiliches Führungszeugnis zu beantragen. Zeitlich, denke ich mir, lohnt es sich nicht, das Bürgeramt zu verlassen, um auf der Karl Marx Straße einen Kaffee zu trinken.

Die Nummern werden zügig aufgerufen bis der ganze Vorgang gegen halb zehn bei Nummer 43 ins stocken kommt. Statt drei Sachbearbeitern scheint jetzt nur noch einer an der Arbeit zu sein. Ich glaube Papier rascheln zu hören und stelle mir zwei Knoppers knuspernde Sachbearbeiter vor, wie sie in ihrem Aufenthaltsraum in den Eingeweiden des Bürgeramts die Köpfe zusammen stecken und kichern.

Das Wartezimmer füllt sich zusehens. Die Zeit scheint allerdings stehen geblieben zu sein.

Bürgerämter sind ja berühmt dafür Zeit zu fressen, denke ich mir und schaue zur Ablenkung auf den Bildschirm, der an der Decke hängt.

„Warte TV“ steht drauf und gezeigt werden Standbilder mit Nachrichten, ein bisschen so wie das Berliner Fenster in der U-Bahn. „Deutschland trifft auf Argentinien im Viertelfinale“ steht dort. Die WM ist seit Wochen vorbei. Und „Deutschland besiegt England 4:1“.

Ich schaue irritiert auf die Anzeige Tafel. Immer noch Nummer 43, jetzt schon seit zwanzig Minuten. Oder seit zwei Stunden? Vielleicht schon seit drei Wochen? Die Luft wird dünn im Bürgeramt. Entschlossen verlasse ich den Warteraum und das Bürgeramt. Das polizeiliche Führungszeugnis muss warten, denke ich mir, wie wir alle.

MAREIKE BARMEYER