Wege zum Film

KINO Hier üben die Berlinale-Gewinner von morgen: An der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf lernen Studenten, wie man Filme dreht und produziert. Jetzt will Deutschlands größte Filmhochschule zur Universität werden. Ein Besuch

■ Ab dem kommenden Donnerstag blicken Filmfans aus aller Welt wieder nach Berlin: Am Abend werden die 64. Internationalen Filmfestspiele eröffnet. Zehn Tage lang laufen dann insgesamt rund 400 Filme in verschiedenen Sektionen, die prominenteste davon ist der Wettbewerb um die Goldenen und Silbernen Bären. Jeder vierte gezeigte Film ist in Deutschland entstanden.

■ Trotz traditionell miesen Februarwetters werden auch wieder zahlreiche Weltstars über den roten Teppich am Potsdamer Platz schreiten. Erwartet werden unter anderem Tilda Swinton, Matt Damon, Charlotte Gainsbourg, Uma Thurman, Catherine Deneuve und – jaaa, kreisch, Ohnmacht – George Clooney. Ein Gewinner steht auch schon fest: Regisseur Ken Loach bekommt den Ehrenbär für sein Lebenswerk in die Hand gedrückt.

■ Bespielt werden etwa die Hälfte der Kinos in der Stadt – also nicht nur die beiden Multiplex-Häuser am Potsdamer Platz, sondern auch das International, das Delphi, kleine Kiezkinos und erstmals seit Jahren wieder der frisch sanierte Zoo-Palast. Karten gibt es ab Montag im Vorverkauf in geringer Zahl im Internet über berlinale.de, vor allem aber an den Schaltern in den Potsdamer Platz Arkaden, im Kino International und im Haus der Berliner Festspiele. Dabei gilt: In der Regel sind Tickets drei Tage im Voraus erhältlich, also zum Beispiel am Dienstag für Freitag. Wer sich einen kleinen, schwierig einzuschätzenden Film aussucht, bekommt übrigens nicht nur leichter Karten, sondern erlebt auch die größeren Überraschungen. Und dafür sind die Festspiele ja da.

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Wenn Svenja Böttger von ihrem Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in Babelsberg erzählt, hat das mit den gängigen Vorstellungen erst einmal wenig zu tun. Regie oder Schauspiel? Nein, solche Studiengänge besucht die 25-jährige Medienwissenschaftlerin nicht. Jedenfalls nicht in erster Linie: „Mich hat interessiert, wie man Festivals organisiert. Gerade bereiten wir das Filmfestival ‚sehsüchte‘ vor.“ Böttger ist dabei so etwas wie die studentische Version von Berlinale-Chef Dieter Kosslick. Rund 1.100 Filme sind für die Auswahl eingereicht worden, 120 werden bei dem Wettbewerb gezeigt. Die „Sehsüchte“ sind harte Arbeit – und mittlerweile das größte internationale Studentenfilmfestival Europas.

Wenn Miguel Schmid über sein HFF-Studium spricht, erinnert er fast ein wenig an Dustin Hoffman aus „Die Reifeprüfung“. Etwas verlegen und doch enthusiastisch erklärt der 22-Jährige, dass es für ihn nichts Besseres gibt als den Studiengang Szenografie, wo man „auch mal was Verrücktes ausprobieren kann und andere sagen: ‚Ey Mann, das ist gut so.‘ “ Die Filmszenografie hat in Babelsberg eine lange Tradition. Es wird gezeichnet und gemalt, gebaut und gestaltet, real oder digital. Und vor allem innovativ: Neulich haben Schmid und ein paar Kommilitonen einmal getestet, welche emotionalen Wirkungen durch unterschiedliches Design im Raum ausgelöst werden können. Was dabei herausgekommen ist, war „Wahnsinn“.

Wer Marlene Blumert und Roman Remer zuhört, denkt, man sei schon bei den Profis gelandet. Blumert hat Regie und Drehbuch studiert, Remer Film- und Fernsehproduktion. Die 31-jährige Regisseurin hat in den Jahren 2011 und 2012 zwei Kurzspielfilme an der HFF gedreht: „Auf das schöne Leben“ und „Wollen/Müssen“. Für sie war die praktische Arbeit im Rahmen ihres Studiums das Entscheidende: „Ich wollte wissen, wie man Filme macht.“ Remer nickt. Der 26-Jährige muss später das Budget zusammen- und das Team bei Laune halten. Remer ist ein kommunikativer Typ, eine Mischung aus Kumpel und ein bisschen Big Boss, Marke kommender Bernd Eichinger. Er engagiert sich im Studierendenrat, hat während des Studiums bei Film- und Fernsehproduktionen reingeschnuppert und mit Kommilitonen Projekte gestemmt. Um das durchzuhalten, brauche es ein „gutes Networking“, sagt er, und ebenso eine gute Nase: „Beim Film musst du Leute finden, auf die du dich verlassen kannst.“ Auch das lernt man an der HFF.

Die Wege zur Hochschule für Film- und Fernsehen Konrad Wolf, wie die vor 60 Jahren gegründete Filmakademie seit 1985 zur Erinnerung an den ostdeutschen Regisseur in voller Länge heißt, führen mitten durch die deutsche Filmgeschichte. Das kann Lust und Last zugleich sein. Wer hier studiert, spürt Verantwortung, hat Lothar Bisky, von 1986 bis 1990 Präsident der HFF, einmal gesagt. In Babelsberg wurde vor 100 Jahren der deutsche Film aus der Taufe gehoben, die berühmte UFA gegründet, Fritz Lang, Brigitte Helm oder Heinrich George stiegen hier zu Weltruhm auf. Zu diesem Erbe gehört aber ebenso, dass die Studios ab 1933 von den Nazis missbraucht wurden und 1945 die Defa das Gelände übernahm, neben dem heute die Hochschule steht.

Bei Jannings und Dietrich

„Willste zu die Filmmäuse?“, erwidert ein Kioskbesitzer auf die Frage nach dem Weg. Babelsberg Süd, eingekeilt zwischen Schnellstraßen und Bahntrassen, ist heute der deutsche Filmproduktionsstandort. Dennoch hat das Quartier, das nach dem Fall der Mauer in „Medienstadt Babelsberg“ umgetauft wurde, nur vorstädtischen Charme: überschaubare Wohnquartiere, viel Grün, große Flächen mit Gewerbe, Medien- und Filmbetrieben. Die Straßen zur HFF sind nach Emil Jannings, G.-W. Papst, Marlene Dietrich, Lilian Harvey oder Zarah Leander benannt. Viel junges Volk ist hier unterwegs.

Im Jahr 2000 bezog die HFF den neuen fünfstöckigen Glasbau inmitten der Medienstadt. Von oben betrachtet sieht das dreieckige Bauwerk aus wie ein überdimensionaler Steinway-Flügel. Die Fassade mit den eingeschobenen Containern, spitzen Dachantennen und kleinen Flügeln erinnert hingegen an ein Raumschiff aus „Star Trek“. Der Bau spielt Film.

Es gibt einige neue Lehrinstitutionen in Deutschland, die ähnlich mit den Bildern spielen. Doch im Gegensatz etwa zum Campus in Köln oder der Hafenuni Hamburg erscheint die HFF geerdet. Von der anderen Straßenseite schauen die Kulissen und Filmstudios der „Filmstadt“ herüber, die Metropolis-Halle oder das berühmte „Tonkreuz“, das erste deutsche Tonfilmatelier. Alles um die HFF Konrad Wolf herum ist Film und Filmgeschichte, sind Medien- und Produktionsstandorte. Alles um die HFF ist das Berlin-Potsdamer Hollywood.

Hier laufen den Studenten die Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten quasi vor die Füße. Einmal soll die Crew von Roman Polanskis „Der Pianist“ in einer Studentenkneipe versackt sein. Das ist wohl Legende. Aber man kann in der Kantine des RBB oder des Filmstudios sein Glas neben bekannten Schauspielern trinken. Filmemacher von dort unterrichten an der Hochschule, Andreas Dresen gehört zu den Lieblingen der Studenten.

Im Inneren des dreieckigen Gebäudes steht man in einem riesigen, haushohen Lichthof. Von hier führen offene Treppenanlagen wie Himmelsleitern zu den Seminar- und Übungsräumen, Werkstätten und Studios, Kinosälen und Büros hinauf. Der Lichthof ist zugleich Mensa, Kneipe („Filmriss“), Bibliothek, Kontakthof und bietet Raum für zwei Kinosäle. Hier ist der Ort, wo man sich über den Weg läuft, die Plakate für seinen Abschlussfilm klebt, den Flurfunk abhört, Projekte schmiedet, „networkt“.

Rund 550 Studenten hat die HFF heute, knapp 100 Professoren und Lehrbeauftragte, dazu kommen das wissenschaftliche Personal und die Hochschulverwaltung. Die HFF ist die älteste und größte Filmhochschule in Deutschland, die DFFB in Berlin und die HFF München sind wesentlich kleiner und kommen an die Hochschulstruktur mit zwei Fakultäten und zwölf Studiengängen nicht heran. Die da wären: Regie, Drehbuch/Dramaturgie, Film- und Fernsehproduktion, Schauspiel, Digitale Medienkultur, Medienwissenschaften, Sound/Sound for Picture, Szenografie, Animation, Filmmusik, Cinematography, Montage.

Ganz oben im Haus sitzt die Präsidentin. Susanne Stürmer war Geschäftsführerin der UFA Film & TV Produktion und Professorin für Film- und Fernsehproduktion, bevor sie 2013 an die HFF-Spitze berufen wurde. „Zu unseren Besonderheiten gehört, dass wir sehr breit aufgestellt sind.“ „Starke Gewerke“ nennt Stürmer die Studiengänge. Es klingt, als wäre man auf einer Baustelle. Was derzeit auch irgendwie passt: Nach der Umstellung von Diplom auf Bachelor und Master sowie der Zusammenlegung von Fakultäten geht es jetzt um „weitere neue Ausrichtungen“. Die Forschung soll gestärkt, die Lehre „noch mehr interdisziplinär“ ausgerichtet werden. Stürmer plant keine Revolution, aber es geht um die Perspektiven ihrer Studenten in der digitalen Filmwelt und eine „wieder vermehrt künstlerische“ Ausbildung. Ihr großes Ziel ist, die Hochschule als erste „Filmuniversität“ zu etablieren.

■ Die Hochschule für Film und Fernsehen präsentiert sich mit zahlreichen Filmen von Studierenden auf der 64. Berlinale – unter anderem in den Sparten Perspektive Deutsches Kino, Panorama und Berlinale Shorts. Acht Premieren sind darunter, zwei HFF-Diplomfilme werden im Rahmen der Perspektive Deutsches Kino uraufgeführt: Regisseurin Ester Amrami nimmt uns in ihrem 84-Minüter „Anderswo“ (2014) mit auf eine Reise nach Israel. „Lamento“ (2013) erzählt von Magdalena, die sich nach dem Selbstmord ihrer Tochter um Normalität bemüht. Darüber hinaus feiert der 180°-Spielfilm „Der Imagonaut“ im Rahmen der Berlinale Talents (ehemals Berlinale Talente Campus) seine Weltpremiere. (rola)

Die Villen am Griebnitzsee

Kleine Brötchen wurden an der HFF nie gebacken. Im Oktober 1954 wurde die Deutsche Hochschule für Filmkunst im Schloss Babelsberg durch DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl und Kulturminister Johannes R. Becher gegründet. Antrieb war der große Bruder in Moskau mit dem sowjetischen Allunionsinstitut für Kinematografie (VGIK). Zu den ersten Studiengängen, die in den Villen einstiger Filmgrößen am Griebnitzsee untergebracht waren, zählten Regie, Kamera, Dramaturgie und Produktion. Der Regisseur Kurt Maetzig war bis 1964 der erste Rektor, zu den bekannten Eleven gehören Thomas Brasch, Bodo Fürneisen, Jaecki Schwarz und Jutta Hoffmann, Andreas Dresen oder die Produzentin Susann Schimk. Wer von der HFF kam, war und ist: Champions League.

Bodo Fürneisen, Student zu DDR-Zeiten, ist heute Lehrer für Schauspiel, „ein alter Babelsberger“, wie er sagt, mit viel Gefühl für das Handwerk. Sein letztes Projekt, „Komasaufen“, lief 2013 in der ARD. Gerade dreht er mit Studierenden „Talfallzug“ ab. Der Kurzfilm ist eine „Filmwahlrolle“, Schauspielstudenten können für ihre Abschlussarbeit selbst eine Rolle mitgestalten. Es geht um Liebe, Rassismus, blinde Wut. Gedreht wird digital, Gage gibt es keine. Das 25-köpfige Team aus Studenten und Externen arbeitet wie die Profis.

Die Produktionsleiter Anna Hintzen und Robert Stürze – auch er Student – haben den 7-Tage-Dreh geplant. Gerade arbeitet die Crew in Berlin, in einer kleinen Wohnung am Alex. Es ist eng am Set, Kabel liegen herum, die Küche ist das Produktionsbüro. Stürze bleibt cool, erzählt von seinen Projekten und „vom Reiz, einen Film vom Drehbuch bis zur Endfertigung zu organisieren“. Die Ausbildung mit viel Praxis sei für ihn der richtige Weg.

Am Motiv wird Licht eingerichtet, der Schauspieler Maximilian Klas geschminkt, die Szene mit Kamera und Ton geprobt: Klas und ein anderer streiten sich im Hausflur. Alle wirken konzentriert. Hier passiert, wovon alle reden: „Projekte durchziehen, Erfahrung machen, gemeinsam arbeiten.“ Fürneisen führt die Schauspieler, korrigiert. „Es geht darum, das Laufen zu lernen“, sagt er in einer Drehpause. „Die besten Erfahrungen sammelt man unter realen Bedingungen.“ Er muss wieder zum Set. „Wir drehen dann. Ruhe bitte. Ton, Kamera.“ Die Klappe wird geschlagen. „Und bitte!“