Das Ende einer komischen Oper

Hiphop und Mozart: Die „Hip H’Opera“ war ein künstlerisches Experiment und ein Riesenerfolg. Die Leitung der Komischen Oper versprach zusätzliche Aufführungen – und sagte sie später ab. Wie Berlin ein einzigartiges Projekt verloren ging

„So eine Oper ist ein Supertanker. Kurzfristig lässt sich nichts bewegen.“

von Kathrin Schrader

Standing Ovations im Parkett und auf den Rängen, Trampeln und Pfeifen – drei Abende lang ist die Komische Oper komplett ausverkauft. Dabei bringt nicht das übliche Publikum das Haus in der Behrensstraße zum Kochen. Schüler, ganze Schulklassen sind gekommen, dazu zahlreiche Freunde der 40 Berliner Mädchen und Jungen, Laien, die in der „Hip H’Opera Così fan tutti“ die Hauptrolle spielen. Als „Youthcrew“, eine Art Vorstadtgang, tanzen sie im rauchblauen Bühnenlicht zwischen stilisierten Plattenbauten.

In der Inszenierung treffen Beats auf Mozarts Originalfassung, schon während der Ouvertüre geht es zur Sache. Elegante Fusionen, Reibungen, Funkenflug, Lärm. Die Rapper knautschen den klassischen Text von da Ponte gegen die Stimmgewalt der OpernsolistInnen. Die „Hip H’Opera Così fan tutti“ ist für die einen ein grandioses kulturelles Experiment, für die anderen eine monströse Verhunzung der Klassik. Sie hatte unglaublich viel kreatives Potenzial. Doch die Verantwortlichen an der Oper erkannten das nicht.

Nach den drei ausverkauften Aufführungen im April kündigt die Leitung des Opernhauses zwei weitere Vorstellungen für den Sommer an. Vielleicht wäre aus den geplanten Abenden eine ganze Woche geworden, zu Beginn der Sommerpause, wenn niemand sonst die Oper braucht. Vielleicht hätte man Verbündete gefunden, Techniker, die noch einmal das Licht anknipsen und den Kurs die Bühne drehen, begeisterte Kartenabreißer und ProgrammverkäuferInnen.

Doch daraus wurde nichts. „Wir haben händeringend versucht, weitere Aufführungstermine zu finden“, sagt Operndirektor Philip Bröking. „Leider war nichts mehr zu machen. So ein Opernhaus ist ein Supertanker. Man muss den Kurs kilometerweit vorher ändern. Kurzfristig lässt sich nichts bewegen.“

Die Regisseurin des Stücks sieht das ganz anders. „Die haben kein Interesse an dem Projekt“, wirft Nadja Raszewski der Opernleitung vor. „Sie wollen einfach nicht.“ Dabei hätten die Solisten und die Youthcrew geschrien vor Freude, als die Leitung des Hauses auf der Premierenfeier verkündete, dass es aufgrund des großen Erfolgs zwei zusätzliche Aufführungen geben werde. Alle seien in den Startlöchern gesessen, erzählt Raszewski. „Doch dann hat die Opernleitung einen Rückzieher gemacht. Man hielt es nicht einmal für nötig, uns über die Terminabsage zu informieren.“

Die Geschichte der Hip H’Opera ist eine Geschichte spontaner Entscheidungen. Unter anderem mit Geldern der EU finanziert, sollte sie ursprünglich das gemeinsame Kind dreier europäischer Opernhäuser werden. Daraus wurde nichts. Man fand konzeptionell zu wenige gemeinsame Nenner. So kam es, dass die ursprüngliche, von Markus Kosuch entwickelte Idee, Jugendliche mit ihren Erfahrungen an der Inszenierung zu beteiligen und eine Begegnung der Kulturen zu schaffen, an der Komischen Oper allein hängen blieb.

Es war auch nicht geplant, dass Nadja Raszewski Regisseurin des Stücks wurde. Doch Markus Kosuch musste zu Beginn der Proben Anfang des Jahres die Regie abgeben, um sich administrativen Aufgaben zu widmen.

Raszewski war diejenige, die am weitesten in die Inszenierung hineingewachsen war. Seit Monaten hatte die Tanzlehrerin mit der Youthcrew die Themen der Oper erarbeitet. Liebe, Treue und Vertrauen werden diskutiert und in choreografischen Szenen ausgedrückt. Doch die künstlerische Leiterin der Tanzschule Tanztangente und Dozentin für Tanzpädagogik an der Universität der Künste (UdK) steht zum ersten Mal als Regisseurin auf einer Opernbühne. Offensichtlich so Raszewski, hatte die Opernleitung damit ein Problem.

Aus der Umbesetzung entwickelte sich ein Streit, der die Zusammenarbeit prägte. Ursprünglich wollte die Leitung des Hauses eine Opernregisseurin als Ersatz, die noch nie mit Jugendlichen gearbeitet hatte, berichtet Raszewski. Man habe sogar versucht, sie zu erpressen: „Sie sagten: ‚Entweder unsere Regisseurin, oder die Hip H’Opera stirbt.‘ Ich hatte eine Stunde Bedenkzeit.“ Letztlich beugte sich die Leitung des Hauses jedoch den Argumenten der Choreografin. Schließlich war die Arbeit mit der Youthcrew der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Projekts.

Nadja Raszewski ist diejenige, die diese Arbeit machte. Seit Monaten. Sie hatte den Draht zu den Berliner Rappern Bobmalo und FlowinImmo, die für die männlichen Hauptrollen verpflichtet wurden. Sie verstand den Spagat zwischen der Kultur des Rap und der Welt der Oper. „Das Problem ist die unterschiedliche Art und Weise, wie Rap und Arie etwas sagen. In der Oper kann der Satz ‚Ich liebe dich‘ manchmal mehrere Minuten dauern. In dieser Zeit hat dir ein Rapper sein ganzes Leben erzählt.“

Doch die beharrliche Tänzerin aus der alternativen Kulturszene, die auf dem Supertanker nur geduldet wird, erhielt nicht den Respekt, den die Kulturfusionäre vor den Mikrofonen gern als Merkmal der gemeinsamen Arbeit heraufbeschworen. „Ein einziges Mal sind die grauen Herren aus der Chefetage auf einer Probe erschienen“, erzählt sie. „Ich musste sie darauf hinweisen, dass man während einer Gesangsprobe nicht isst. Sie sind ständig rein und raus gelaufen. Das ist nicht verboten – aber wie man sich verhält, verrät eben auch etwas über die Einstellung.“

Den Vorwurf, es habe im Haus zu wenig künstlerische Auseinandersetzung mit dem Team der Hip H’Opera gegeben, kann Philip Bröking nicht nachvollziehen. Man habe häufig in seinem Büro zusammengesessen und über die Inszenierung gesprochen. „Und sehen Sie, ein international gefragter Lichtdesigner wie Franck Evin hat auch für die Inszenierung gearbeitet.“ Was er nicht sagt: Franck Evin hat jedes fachliche Gespräch mit der Regisseurin verweigert.

Von einer gewissen Gruppendynamik spricht Philip Bröking, die sich bereits gebildet hatte, als es erneut um die Frage der Regie gegangen sei. Die angebotene Hilfe des Hauses durch Opernprofis sei von Nadja Raszewski nicht für nötig erachtet worden.

So ging ein streitbares Experiment für immer verloren. Die Jugendlichen mussten erfahren, dass Oper im Grunde wie Schule ist. Nach der Prämierenfeier sei eine Scheibe zu Bruch gegangen, erklärt das Büro des Intendanten. Außerdem seien in der Gegend um die Behrensstraße in der vergangenen Zeit verstärkt Graffiti aufgetaucht. „Von uns war es niemand“, sagt Sandra von der Youthcrew. Es sei aber „typisch“, dass sofort sie verdächtigt würden. „Irgendwie fühlen wir uns ziemlich verarscht“, sagt sie.