leserinnenbriefe
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Die Folgen sind unübersehbar

■ betr.: „Die Ärztebeschwerde“, taz vom 24. 7. 10

Die pauschalierte „Spitzenverdiener jammern auf hohem Niveau“-Schelte, die sich zunehmend durch die taz zieht, finde ich dem Niveau der Zeitung nicht angemessen. Außer dem Einfordern der Moral der Ärzte und der super konstruktiven Idee, die Kassenärztlichen Vereinigungen mögen doch das Geld besser verteilen, wenn es denn so große Einkommensunterschiede gibt, habe ich in der letzten Zeit in der taz keine ansatzweise Idee gelesen, die wirklich in Richtung Problemlösung gehen könnte.

Dass die niedergelassenen Ärzte „auf hohem Niveau jammern“, trifft die Lage nur dann, wenn man nichts als einen Durchschnittswert Einkommen fixiert. Dieser Durchschnittswert bildet aber eben die Spannweite zwischen 1. dem Spitzenverdiener ab, der gegebenenfalls mit angestellten Ärzten es in den vergangenen Jahren zu seinem obersten Primat gemacht hat, aus allen „Reformen“ des Gesundheitswesens mit kaufmännischem Blick die Kohle abzuschöpfen, und 2. am anderen Ende dem Arzt, der sich vorwiegend deshalb selbständig gemacht hat, weil er sich so eher glaubte um die Patienten kümmern zu können als im Großbetrieb Krankenhaus. Dass der auch leben und Geld verdienen möchte, steht dabei außer Zweifel, aber hat für ihn nicht höchste Priorität.

Nr. 2 wird wegen der zunehmenden Pauschalierungen des Gesundheitswesens an den Rand der wirtschaftlichen Existenz getrieben. Den brauchen wir für die künftige flächendeckende Patientenversorgung. Der wird aber nur noch eine Zeit lang zunehmend frustriert weiterarbeiten und sich dann in die Rente verabschieden. Nachwuchs dieser Sorte wird vom System nicht angezogen. Nr. 1 „genießt und schweigt“ und hat im Übrigen seine Lobbyisten in den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Berufsverbänden und in der Politik, die dafür sorgen, dass seine Interessen an den Entscheidungsstellen vertreten werden.

Die Folgen sind unübersehbar: Die guten Ärzte hören resigniert auf, sich in der Tretmühle zu zerbröseln. Die Ärzte des Typs Nr. 1 werden noch eine Weile Geld machen – und dabei notgedrungen auch ein paar Patienten behandeln. Wenn’s dann kein Geld mehr zu verdienen gibt, hören auch die auf – oder assoziieren sich mit den Krankenhäusern. BIRGIT PABST

Regionale Unterschiede

■ betr.: „Die Ärztebeschwerde“, taz vom 24. 7. 10

Es erscheint mir recht undifferenziert und der anspruchsvollen Leserschaft der taz nicht gerecht werdend, wenn Ulrike Herrmann ihr Hausärzte-Bashing mir nichts dir nichts auf gröbste statistische Zahlen reduziert, um den gewünschten Effekt zu erreichen: Die Ärzte verdienen immer noch zu üppig und versuchen auf Kosten der gesetzlich Versicherten ihre Pfründe zu sichern und auszubauen. Von Einsicht keine Spur, Hauptsache, die Krankenkassen auslutschen, bis die 100.000 Euro netto im Jahr erreicht sind, um standesgemäß leben zu können. Leider vergisst Ulrike Herrmann, dass es gerade in der Gruppe der Hausärzte große regionale und ideologische Unterschiede gibt, die sich nicht im trivialen Mittelwert der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wiederfinden. Unter den Hausärzten befinden sich in der Tat viele Kolleginnen und Kollegen, die sehr engagiert und nicht in erster Linie honorarorientiert raffgierig arbeiten, insbesondere in östlich-ländlichen Provinzen der BRD. Als Genossenschaftler dieser Zeitung bin ich mittelgradig entsetzt über derartige Undifferenziertheit und unsinnige Vereinfachung kontradiktiver Sachverhalte.

Als langjähriger Klinikarzt im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin ist mir bewusst, dass in der Schulmedizin viel Geld sinnlos verschleudert wird, beispielsweise im Kontext überflüssiger apparativer Diagnostik und im pharmako-industriellen Komplex, in dem gewinnbringende Seilschaften existieren, die bestimmte Ärztegruppen gnadenlos ausnutzen, um ihr Einkommen hochzutreiben. Diese Haltung findet sich allerdings in anderen halbseidenen Wirtschaftsbereichen unserer Gesellschaft um ein Vielfaches extremer. Das eine rechtfertig das andere nicht. GÜNTER STORCH, Wiesbaden

Ärzte dürfen etwas mehr verdienen

■ betr.: „Die Ärztebeschwerde“, taz vom 24. 7. 10

Als niedergelassener Hausarzt war ich zunächst ärgerlich über die Nachrichten und Ihren ersten Kommentar, auch wenn mir die Aktivitäten des Hausärzteverbandes überhaupt nicht gefielen. Ihr zweiter, sehr differenzierter Kommentar hat mich aber versöhnt: Es ist wirklich „Jammern auf hohem Niveau“, und ein wenig Zurückhaltung im öffentlichen Austragen finanzieller Wünsche stände uns ÄrztInnen wohl besser zu Gesicht.

Ich möchte allerdings noch auf zwei Aspekte hinweisen, warum wir niedergelassenen Ärzte etwas mehr verdienen dürfen: Unser Studium ist eines der längsten, die Assistenzarztzeit im Krankenhaus bedeutet sehr viel Arbeit bei vergleichsweise bescheidenem Gehalt; als Niedergelassene sind wir „freie“ Unternehmer, und bei einem Scheitern fängt uns keine Arbeitslosenversicherung auf. Ein durchschnittliches Einkommen von 100.000 Euro im Jahr bedeutet nicht, dass die Mehrzahl der HausärztInnen so viel verdient.

Das Thema „Priorisierung“ – kürzlich auf der Wissenschaftsseite – sollte weiter debattiert werden. Auch wenn meine linken KollegInnen vom VDÄÄ (zu denen ich mich auch zähle) es nicht für relevant halten, es gar als Mittel zur Durchsetzung ärztlicher Standesinteressen ansehen, glaube ich, dass wir in Zukunft nicht ohne Priorisierung auskommen werden. Die Entscheidung darüber ist aber ein gesellschaftliches Thema, deshalb mein Vorschlag.

RAINER KANDLER, Bonn