JÜRGEN GOTTSCHLICH ÜBER WESTERWELLE IN DER TÜRKEI
: Freischwimmen am Bosporus

In der Türkeipolitik kann Westerwelle sich profilieren. Den Rest besorgt die Chefin

In manchen Dingen ist auf die CSU doch noch Verlass: Immer wenn ein deutscher Politiker zu erkennen gibt, ein EU-Beitritt der Türkei könne sinnvoll sein, erhebt in München jemand Einspruch, diesmal die Europaministerin Emilia Müller.

Unbeeindruckt von allem Gemaule ist der deutsche Außenminister gestern bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr in Istanbul und Ankara gewesen. Ganz im Gegensatz zur CSU und weiten Teilen der CDU will er einen Abbruch der Türkei -EU-Verhandlungen verhindern und ist bereit, seinen Teil dazu zu tun, dass die Türkei nicht von sich aus frustriert der EU die Brocken vor die Füße wirft.

Dazu gehört zum einen, einen vertrauensvollen Gesprächskanal aufrechtzuerhalten. Westerwelle kann zwar nicht – wie zwei Tage vor ihm der neue englische Premier David Cameron in Ankara – vor die Presse treten und anderen EU Ländern vorwerfen, sie würden den türkischen Beitritt hintertreiben. Aber er kann sich hinter den Kulissen bemühen, das Zypernproblem, das im Herbst wieder auf der Tagesordnung stehen wird, zu entschärfen.

Westerwelle tut dies zum Teil aus eigener Überzeugung, zum Teil aber auch, weil die Türkeipolitik eines der wenigen Felder ist, in denen er sich als Außenminister deutlich profilieren kann. In Europa, im Verhältnis zu den Supermächten USA und China macht Kanzlerin Merkel die Außenpolitik selbst. Will Westerwelle nicht mit seinem Entwicklungshilfeminister in Afrika konkurrieren, muss er sich Felder suchen, die näher liegen und auch im eigenen Land wahrgenommen werden.

Die Türkei ist dafür ideal. Sie ist objektiv wichtig und wird geopolitisch wahrscheinlich in Zukunft noch wichtiger werden. Die Debatte über einen EU-Beitritt ist hoch emotionalisiert und verspricht viel Aufmerksamkeit, und letztlich kann man damit auch europapolitisch punkten. Vielleicht also wird aus Westerwelle doch noch ein richtiger Außenpolitiker.

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