Schon wieder Kummer auf dem Gleis

VERKEHR Wegen Entgleisungsgefahr mussten in Potsdam die neuen Niederflurtrams aus dem Verkehr gezogen werden. Stattdessen kommen betagte Tatras aus dem Depot

„Die Räder haben zu wenig Spiel in den Schienen“

OLIVER GLASER, VIP-TECHNIKCHEF

VON MARCO ZSCHIECK

Auf Potsdams Straßen sieht es seit einigen Tagen wieder etwas ostiger aus. Während sichtbare Zeichen der DDR-Vergangenheit ansonsten schrittweise aus dem Stadtbild verschwinden, sind auf den Tramgleisen in Brandenburgs Landeshauptstadt seit knapp einer Woche wieder zahlreiche Straßenbahnen vom Typ Tatra unterwegs. Die kantigen Fahrzeuge wurden in den 1980er-Jahren in Prag gebaut.

Was Tramnostalgiker freut, ist für den Potsdamer Verkehrsbetrieb (ViP) die größte Krise seit zehn Jahren. Über Nacht mussten 13 von 14 der in den vergangenen zweieinhalb Jahren angeschafften modernen Variobahnen wegen Entgleisungsgefahr aus dem Verkehr gezogen werden. An den Trams war nach einer Routinekontrolle ein Defekt festgestellt worden. „Die Räder haben zu wenig Spiel in den Schienen“, hatte ViP-Technikchef Oliver Glaser am Donnerstag vergangene Woche erklärt. Soll heißen: Die Räder könnten sich in Kurven oder an Weichen verkeilen und die Tram zum Entgleisen bringen.

Einen Tag später hieß es, das Schadensbild sei ungewöhnlich, da die festgestellten Toleranzabweichungen in dieser Form vorher in Potsdam an keinem Fahrzeug gemessen wurden. Sowohl die neu eingesetzten Variobahnen sind betroffen als auch jene, die bereits mehr als 100.000 Kilometer unterwegs waren. Probleme bestünden vor allem an den nicht angetriebenen Achsen. Kontrollmessungen bei Trams anderer Typen wiesen keine Unregelmäßigkeiten auf, sagte ViP-Sprecher Stefan Klotz. Die Niederflurbahnen zum Stückpreis von 2,5 Millionen Euro werden vom Berliner Hersteller Stadler in dessen Werk in Pankow gebaut.

Zwar hat sich die Lage nach fast einer Woche wieder etwas entspannt – sieben der betroffenen Trams fahren seit Mittwoch wieder – doch die Ursache der Panne ist nach wie vor unklar. Eine Expertenkommission aus Technikern der ViP, externen Gutachtern und dem Hersteller soll herausfinden, was eigentlich kaputt ist. Man werde zum gegebenen Zeitpunkt über die Ergebnisse informieren, heißt es in einer Erklärung.

Die Variobahnen, die nun wieder fahren, sollen engmaschig überprüft werden. Ohnehin sei es nur eine Vorsichtsmaßnahme gewesen, die Fahrzeuge aus dem Netzbetrieb zu nehmen. „Es ist in Potsdam seit der Inbetriebnahme keine Variobahn entgleist“, betonte Klotz. Die Stadtverwaltung macht unterdessen Druck: „Wenn es Sicherheitsbedenken gibt, muss sofort gehandelt werden“, sagte Kämmerer Burkhard Exner (SPD), der auch Aufsichtsratschef des ViP ist. Beim Hersteller Stadler heißt es, man sei sich der Dringlichkeit bewusst. Das Unternehmen habe sofort Techniker nach Potsdam geschickt, die die betroffenen Variobahnen untersuchen, so Unternehmenssprecherin Katrin Block.

Den Fahrplan musste der Verkehrsbetrieb nicht einschränken. Das Unternehmen hält im Depot insgesamt 22 Tatrabahnen bereit, die im Normalfall nur zum Teil genutzt werden. Unproblematisch ist ihr Einsatz dennoch nicht: Da sie keine Niederflurbahnen sind, können Rollstuhlfahrer sie nicht nutzen. Auch ein Kinderwagen kann nur mit Hilfe über die zwei hohen Treppenstufen an den Türen gehoben werden. In einigen der älteren Tatrabahnen können zudem keine Tickets gekauft werden, weil es dort keine Automaten gibt. „Selbstverständlich werden wir uns gegenüber den Fahrgästen kulant zeigen“, so Klotz. Bei der Weiterfahrt mit einem anderen Fahrzeug müsse dann allerdings ein Fahrschein erworben werden.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben keine der Straßenbahnen aus der Berliner Produktion in ihrem Fuhrpark. Variobahnen sind allerdings in zahlreichen anderen Städten in verschiedenen Versionen unterwegs. Aus dem gleichen Werk mit den gleichen Abmessungen wie die Potsdamer Variobahnen kommen auch die Fahrzeuge der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Deren Betriebsqualität liege wegen verschiedener „Kinderkrankheiten“ derzeit immer noch unter den Erwartungen – wenn auch mit Besserungstendenz, so MVG-Sprecher Matthias Korte. Bei allen 14 Zügen musste der Hersteller 2012 die Gummikörper in den Rädern austauschen, weil Risse aufgetreten waren. Probleme wie die aktuell in Potsdam aufgetretenen gebe es in München nicht, so Korte. Bis jetzt.

In Potsdam ist man Kummer mit Straßenbahnen gewohnt: 2004 mussten bereits alle Combino-Trams, die man erst Ende der 90er-Jahre angeschafft hatte, überholt werden, weil es Probleme mit der Stabilität der Karosserie gab. Hersteller Siemens hatte die schwere Elektrotechnik auf dem Dach montiert und musste weltweit für mehrere hundert Millionen Euro nachbessern. Potsdam verzichtete auf weitere Trams dieses Typs – und bestellte stattdessen die Variobahnen.