Kunstrundgang
: Harald Fricke schaut sich in den Galerien von Berlin um

Ortsbegehung 12: Reality in general is almost unavoidable, bis 20. 8., Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sa + So 14–18 Uhr, Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129

Die New Yorker Verhältnisse haben nun auch ganz normale Kunstinstitutionen erreicht. Wie in den Hip-Galerien von Chelsea ist der Eingang zum Neuen Berliner Kunstverein mit einer weißen Wand abgetrennt, darauf der Titel. „Reality in general is almost unavoidable“, das klingt nach coolem Konzeptualismus. Tatsächlich ist der Auswahl, die Bernd Milla für seine „Ortbegehung 12“ zusammengestellt hat, der Wunsch nach Pop und Glamour deutlich anzumerken.

Das fängt bei den verwendeten Medien an: Patrick Rieve zeichnet Comics nach Art von architektonischen Aufrissen und Storyboards; Anna Gollwitzer baut überdimensionale Satzzeichen aus schwarz lackierten MDF-Platten; und Kirstine Roepstorff benutzt für ihre Collagen trendige Stoffe, massenwirksame Zeitungsfotos und bunten Glitter. Diese Vielgestaltigkeit und überhaupt der präzise Umgang mit den Materialien sorgen in der Ausstellung auch räumlich für luftige Eleganz. Bei Roepstorff kann man sich auf wandgroßen Arbeiten dem Formenwirbel hingeben, bei Rieve schreitet man entspannt die Reihe mit Zeichnungen ab, und Gollwitzers minimalistisch wirkende Text-Skulpturen sind wie Stolpersteine ausgestreut.

Vor lauter Freude über so viel gutes Design gerät das Thema fast zur Nebensache. Denn im Kern beschäftigen sich alle Arbeiten mit den Ängsten, die in einer ökonomie-versessenenen, kontrollwütigen und flexibilisierten Welt auf das Subjekt einprallen. Rieves Pläne sind ein Kommentar zur allgegenwärtigen Überwachung, Roepstorff sucht nach Gegenstrategien zum modernen Infotainment, und Gollwitzer wiederum setzt mit ihren Objekten die Sprachgebundenheit von zwischenmenschlichem Handeln in Szene. All das geschieht en passant und mit Humor an der Sache. Ziemlich contemporary eben.