DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Jugend? Alle einsperren!

WAS SAGT UNS DAS? Deutsche Innenminister und Konservative fordern geschlossene Heime

Die Diskussion ignoriert unterprivilegierte Kinder

Das Ende der Geduld“ heißt das Buch der Jugendrichterin Kirsten Heisig. Die Berliner Juristin hatte sich vor zwei Wochen das Leben genommen. Ihr Erbe liegt ab jetzt in den Läden aus. Essenz: Schwer erziehbare Jugendliche, die noch nicht strafmündig sind, sollen in geschlossene Heime gesperrt werden.

Politiker der Unionsparteien forderten nach einem Vorabdruck in der Welt am Sonntag dasselbe. Konservative gelüstet es immer wieder mal nach Wegschließen. Letztes Beispiel: die Diskussion um den so genannten Kinderdealer von Berlin – einen elfjährigen Jungen, der mit Heroin gehandelt haben soll.

Was sagt uns das? Offenbar war all die Aufregung um sexuelle Gewalt und Missbrauch gegenüber Jugendlichen und Kindern eine ziemliche Heuchelei. Während manche Zeitungen noch darüber schreiben, wie Jungs und Mädchen in von der Öffentlichkeit abgeschotteten Räumen geschlagen oder gevögelt wurden, da ist ein großer Teil dieser Gesellschaft schon wieder dabei, solch abgeschlossene Kämmerchen zu zimmern.

Schizophren? Vielleicht vertrauen die Befürworter der Heime darauf, dass sich die Dinge zum Besseren gewandt haben. Aber die Machtkonstellation bliebe dieselbe: Drin sind die, die draußen keiner haben und deshalb dort auch nicht hören will. Sie sind also dem Gutdünken ihrer Wärter ausgeliefert.

Wahrscheinlicher ist aber, dass solche Erwägungen keine Rolle spielen. Schon die derzeitige Missbrauchsdebatte dreht sich vor allem um die Kinder der Eliten in Internaten. Ihnen ist Schlimmes geschehen – ohne Frage. Doch ihr Schicksal überblendete in der Diskussion komplett das der etwa 800.000 Kinder, die in der Nachkriegszeit in Heimen untergebracht waren. Sie erfuhren oft Gewalt, auch sexuelle. Sie waren aber zumeist Unterprivilegierte. So wie es die neuen Heimkinder wohl auch sein werden. DAS