Prostitutions-Plus zur WM fiel aus

Initiativen gegen Zwangsprostitution zur Fußball-WM stehen vor zwiespältigem Ergebnis: Zwar hat ihr Thema Aufmerksamkeit erregt, doch gelten sie jetzt als Dramatisierer. Denn nach dem Spiel gab es nicht mehr, sondern weniger Freier

AUS BERLIN COSIMA SCHMITT

Was haben sie nicht alles getan. Die Frauen haben Großleinwände aufgestellt. Sie haben Bordellzimmer mit Rasenteppich und Torwand ausgekleidet. Doch die Freier feierten lieber auf der Fanmeile oder in der Kneipe nebenan. „Fußball und Bier passen vielleicht gut zusammen. Fußball und Prostitution sind offenbar eine weniger gute Kombination gewesen“, resümiert ein Sprecher der Kölner Polizei.

Frauen- und Menschenrechtsorganisationen hatten anderes vermutet: Sie befürchteten, der Fanansturm könne die Nachfrage nach bezahlter Befriedigung vervielfachen. Vor allem mutmaßten sie, es würde ein lukrativer Markt für Menschenhändler entstehen, die dann massenhaft Osteuropäerinnen ins WM-Land einschleusen. 40.000 neue Zwangsprostituierte – diese Zahl geisterte durch alle Medien.

Bestätigt hat sie sich nicht. In Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz etwa haben Polizisten bei 388 Kontrollen in Bordellen lediglich drei Fälle mutmaßlicher Zwangsprostitution festgestellt. Übereinstimmend berichten Polizeisprecher, weder die legale noch die illegale Prostitution habe signifikant zugenommen.

Der Klub Artemis etwa nahe dem Berliner Olympiastadion hatte 500 Kunden pro Tag erwartet. Doch es kamen nur 250. Prostituierte, die extra aus der Provinz oder aus Polen angereist waren, fuhren bald wieder nach Hause. Der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen spricht sogar von „drastischen Einbrüchen“ der Kundenzahlen.

Nun spekuliert die Fachwelt über die Ursachen. War es schlicht zu heiß, um mehr zu wollen als ein kühles Bier? Saßen viele Stammkunden vor dem Fernseher statt in der Oben-ohne-Bar? Gab es zu viele Ehefrauen, die mit den Männern Fußball guckten? Von alldem ein bisschen, glauben die Experten. „Viele Touristen sind mit ihren Familien nach Deutschland gereist“, sagt etwa Peter Breitner, Leiter des Dezernats für organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Zuhälterei der Polizei München. Sie seien nicht gekommen, um ins Bordell zu gehen. Verglichen mit dem Oktoberfest, sei die WM als Anziehungspunkt für Freier überschätzt worden. Laut der grünen Frauenpolitikerin Irmingard Schewe-Gerigk sind viele dem Klischee eines sexwütigen Fußballprolls aufgesessen: „Da wurde den Fans ein kollektives Triebverhalten unterstellt, das nach dem Stadion nur den direkten Weg ins Bordell zuließ.“

Aus Sicht der vielen Gruppen, die auf den Fanfesten Flyer verteilten, ist das Ergebnis zwiespältig. Einerseits können sie sich freuen, dass tausenden Frauen der Missbrauch erspart blieb. Andererseits könnten sie künftig als Dramatisierer gelten. Eher defensiv äußert sich jetzt etwa der Deutsche Frauenrat, Initiator der Kampagne „abpfiff“ gegen Zwangsprostitution, der sich Tausende angeschlossen haben. „Unser Ziel war, das Thema Zwangsprostitution im öffentlichen Bewusstsein zu verankern“, so Frauenratsvorsitzende Brunhilde Raiser. „Die WM war dafür eine gute Plattform.“ Sie sei überzeugt, dass die Kampagne „auch präventiv gewirkt“ habe. Eine Expertin zumindest überrascht die Bilanz nicht: „Die Zahl 40.000 war doch völlig überzogen“, sagt Emilia Mitrovic, Leiterin des Ver.di-Projektbüros „Arbeitsplatz Prostitution“. „Man musste das Thema wohl skandalisieren, um es überhaupt an die Öffentlichkeit zu bringen.“

Dabei war zwar nicht das Anliegen, wohl aber seine Wirkung durchaus umstritten. Hurenorganisationen etwa beklagen die Häufung der Razzien, die alle illegalen Sexarbeiterinnen trafen – also auch jene, die ihrem Beruf freiwillig nachgehen. Mitrovic fürchtet, dass die Kampagne manchen nur als Vorwand diente, das Gewerbe an sich zu diffamieren: „Noch immer überdauert ja vielfach die Ansicht, dass keine Frau so einen Beruf freiwillig ausübt.“

Sie hält das für „bedenklich“, weil es dem Kampf entgegenläuft, den Ver.di seit Jahren ausficht: dass Sexarbeit als ein normaler Job angesehen wird – und die Frau im Bordell die gleichen Rechte erhält wie jene im Büro. „Je mehr Rechte Prostituierte genießen, umso schwerer haben es ausbeuterische Zuhälter“, sagt Mitrovic. „Und umso eher wagen es Frauen oder Männer in Not, bei der Polizei Hilfe zu suchen.“