TAG DER ENTSCHEIDUNG
: Hinterm Bollerofen

Wir locken uns ein bisschen hin und ein bisschen her

Was wurde nicht schon alles ausgerufen: der Tag des offenen Denkmals. Der Tag des Mädchenfußballs. Der Welt-Linkshändertag. Der Internationale Tag des Kusses. Der Weltputzfrauentag. Der Deutsche Lebertag, die Nacht des guten Geschmacks, die Woche des ausländischen Mitbürgers, das Jahr des Gottesdienstes – um jemanden hinterm Ofen hervorzulocken, muss man sich manchmal ziemlich was einfallen lassen. Irgendein Motto, das richtig reinhaut.

Heute hat meine Frau diesen Part übernommen. Aber ich will nicht so recht weg vom Ofen, sondern lieber in Ruhe davor sitzen und mir das knisternde Feuerchen stundenlang anhören. „Heute Nacht soll es minus 5 Grad geben“, lenke ich ab, „da braucht man ganz schön Reserven.“ – „Ja ja, und der Rest der Woche soll’s genauso kalt werden, ich weiß“, erklärt sie. Wir sitzen seit einer Stunde zusammen, und sie wartet auf meine Stellungnahme.

Heute ist nämlich „Tag der Entscheidung“ – nicht international, auch nicht landesweit, sondern einfach bloß hier, im Kleinen. Wir sind zu viert und überlegen mal wieder, ob wir nicht doch fünf werden wollen.

Rein faktisch betrachtet scheint der Fall klar: Wir haben eine Tochter, die gern Fußball spielt, und eine andere, deren beste Freundinnen Mersada, Ewa und Ikbale heißen. Und beide Kinder waren schon einmal in einem Gottesdienst. Meine Frau ist Linkshänderin, und bei mir stimmt anscheinend etwas mit der Leber nicht – eigentlich decken wir eine ganze Menge ab. Wir brauchen keinen Internationalen So-und-so-Tag, der großflächig vorne an die Plakatwand gekleistert ist. Wir locken uns schon selbst. Wir locken uns ein bisschen hin und dann wieder ein bisschen her. Vielleicht ja auch nachher. Dann wird das vermutlich noch eine Nacht des guten Geschmacks. Der Ofen bollert jedenfalls wie bekloppt.

JOCHEN WEEBER