Strafgerichtshof in der Bredouille

In Uganda ist die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs so weit vorangeschritten wie nirgends: Gegen die Führer der brutalen „Widerstandsarmee des Herrn“ wurden Verfahren eingeleitet. Doch nun sollen sie mit Friedensgesprächen beginnen

AUS GULU TOM SPIELBÜCHLER

Der kleine Konvoi gepanzerter Geländewagen rollt nach Uganda. Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) wollen in nordugandischen Städten Politikern und Clanführern ihre Arbeit nahe bringen. Im Gepäck sind neben Info-Material auch Splitterschutzwesten. Denn der ICC hat sich zum gefährlichsten Gegner der in Norduganda operierenden Rebellenbewegung LRA (Lord’s Resistance Army) entwickelt: Gegen LRA-Führer Joseph Kony, seinen Vize Vincent Otti und drei Kommandanten erhob er vor einem Jahr Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Man könnte meinen, dass dieser Schritt in Norduganda begrüßt wird. Seit zwanzig Jahren herrscht dort Krieg. In manchen Regionen ist die komplette Bevölkerung geflohen. Zehntausende Kinder wurden von der LRA zwangsrekrutiert, zu unmenschlichen Verbrechen gezwungen oder als Sexsklaven gehalten. Die LRA, die ihre Basen lange im Sudan hatte und heute zunehmend aus dem Kongo heraus operiert, ist eine der brutalsten Rebellenarmeen der Welt.

Doch Kritiker in Uganda sind überzeugt, die Arbeit des ICC verhindere eine friedliche Konfliktlösung. In Juba, der Hauptstadt des Südsudan, wo seit 2005 eine eng mit Uganda verbündete Autonomieregierung regiert, sollen Friedensgespräche zwischen LRA und Ugandas Regierung beginnen. Alle Seiten – auch Ugandas Regierung sowie die südsudanesischen Vermittler unter Südsudans Vizepräsident Riek Machar – drängen den ICC dazu, Ermittlungen gegen die LRA einzustellen, damit diese per Amnestieangebot zum Frieden gebracht werden kann.

Der katholische Erzbischof Odema in Nordugandas größter Stadt Gulu hat in seinem Büro ein Foto, auf dem sich Vertreter von Regierung und LRA 2004 bei den letzten Friedensgesprächen die Hände schütteln. „Dieses Foto der Versöhnung ist praktisch meine zweite Bibel“, sagt der Katholikenführer. Mit den Anklagen des ICC wähnt Odema das für neue Gespräche nötige Vertrauen verloren. Direkter argumentiert der spanische Priester Carlos Rodriguez, der seit 18 Jahren in Uganda arbeitet: „Die LRA wusste bisher nie wirklich, wofür sie kämpfte. Die Anklagen liefern nun einen Grund.“ Und ein ugandischer Jurist meint: „Es stellt sich die Frage, wem der ICC eigentlich dient: sich selbst oder dem ugandischen Volk.“ Oberstes Ziel müsse der Frieden sein.

Im ICC ist man sich der Kritik bewusst. Friedensverträge in Bosnien wie Sierra Leone drohten bereits wegen Anklagen gegen Kriegsverbrecher zu scheitern. „Wir haben daraus gelernt“, sagt ein ICC-Mitarbeiter. „Die Untersuchungen gehen heute weit über die rein juristischen Tatbestände hinaus und beziehen die Dynamik in der Region mit ein, um die möglichen Auswirkungen unserer Maßnahmen beurteilen zu können.“

Es ergibt sich folgendes Bild: Durch den Druck der ugandischen Armee ist die LRA stark geschwächt, seit sie durch die Autonomie Südsudans ihre dortigen Rückzugsgebiete verlor. Maximal 500 Kämpfer soll Kony noch haben, verteilt auf vier Brigaden in Norduganda, Südsudan und im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo. Im kongolesischen Machtvakuum will Kony, so die Vermutung, seine Truppen im Schutz einer Feuerpause neu formieren. Deshalb stimmte er Gesprächen zu.

So ringt die LRA in Juba nun um ihre Glaubwürdigkeit. Beobachter werfen ihr vor, nur „dubiose Figuren“ zu den Gesprächen zu schicken, um sich derweil militärisch neu zu organisieren. Daher auch ihre Forderung, als erstes die ICC-Haftbefehle aufzuheben und Ugandas Armee aus Südsudan abzuziehen. Südsudans Regierung konnte diese Woche die LRA nicht dazu bewegen, ihre vom ICC gesuchten Führer zu den Gesprächen zu schicken. Stattdessen kommen zweitrangige Vertreter.

Der ugandische Politiker und Exoberst Walter Ochora in Gulu ist dennoch überzeugt, das nur der Druck des ICC Kony an den Verhandlungstisch gebracht hat. „Der ICC hat hier ganze Arbeit geleistet“, lobt er. „Durch den Druck, den er international auf die LRA ausübte, und mit dem militärischen Druck unserer Armee wurde die LRA in die Knie gezwungen. Jetzt will sie in Juba Zeit kaufen.“

Vielfach aber stoßen die Gespräche in Juba auf Verwunderung. Dass Südsudans Vizepräsident Riek Machar LRA-Chef Kony 20.000 Dollar gab, damit dieser sich Lebensmittel kaufen könne, stieß international auf Unverständnis: Denn es gibt eine Übereinkunft mit dem Sudan, die vom ICC gesuchten LRA-Führer zu verhaften. Es scheint, als ginge es Machar nur darum, die LRA loszuwerden – ob sie später vom Kongo aus weiterkämpft, ist egal.

Kurz vor Beginn der Gespräche überraschte Ugandas Präsident Yoweri Museveni mit einem erneuten Amnestieangebot an die LRA. „Traditionelle Justiz“ solle sich um die Aufarbeitung der LRA-Verbrechen kümmern, erklärte Ugandas Regierung. Armeesprecher Paddy Ankunda erläutert: „Die Rebellen sollen sich entschuldigen, es gibt eine Zeremonie und dann Versöhnung wie in Südafrika.“

Museveni setzte den Gesprächen eine Frist bis 12. September, um ein Ergebnis zu erzielen. Der ICC selbst steht ihnen neutral gegenüber. Sein Ziel ist klar: strafrechtliche Verfolgung jener vorläufig fünf Personen, die er für die schwersten Verbrechen verantwortlich macht. Allein in den ersten zwei Jahren nach Inkrafttreten des ICC-Statuts im Juli 2002 über 3.000 Entführungen und 2.000 Morde. Ein ICC-Mitarbeiter: „Wir werden den Druck weiter erhöhen, um die Verbrecher vor Gericht zu stellen.“