Kleinaktionär klagt: Wende in L’Oréal-Affäre

Mehrfach hat die 87-jährige Liliane Bettencourt gesagt, mit ihrem Geld mache sie, was sie wolle. Es geht immerhin um ein Vermögen von 18 Milliarden Euro, das der L’Oréal-Erbin gehören soll. Auch dass Bettencourt ihrem Freund, dem Jetsetter und Exstarfotografen François-Marie Banier, im Laufe der Zeit fast 1 Milliarde Euro in Form von Geld, Lebensversicherungen, Immobilien und Gemälden (Werke von Picasso, Matisse und Léger) hat zukommen lassen, ist ihre Sache. Es sei denn, sie hätte nicht frei und im Bewusstsein aller Konsequenzen gehandelt oder sich vom äußerst temperamentvollen und cholerischen Banier nötigen lassen. Dass die Willensschwäche und momentanen Gesundheitsprobleme ihrer Mutter skrupellos ausgenutzt wurden, behauptet die Tochter Françoise Meyers-Bettencourt, die Klage gegen Banier eingereicht hat.

Mehr als eine Privatangelegenheit wäre dieser Familienstreit um viel Geld, wenn sich bewahrheitet, dass gewisse Politiker im Hause Bettencourt Briefumschläge mit Bargeld zugesteckt bekommen haben, wie dies die ehemalige Buchhalterin behauptet. Oder wenn ein Regierungsmitglied seinen Einfluss geltend gemacht hat, um seiner eigenen Frau zu einem Job in der Vermögensverwaltung zu verhelfen, wie dies Liliane Bettencourts engster Berater im Polizeiverhör über den heutigen Arbeitsminister Eric Woerth aussagte.

Nicht nur seine Gattin Florence, sondern auch Eric Woerth selber muss nun der Justiz darüber Auskunft geben. Der Ministerrat musste dafür am Mittwoch seine Zustimmung erteilen, damit der Regierungskollege, der unentwegt seine Unschuld und Integrität beteuert, vom ermittelnden Staatsanwalt zur Einvernahme vorgeladen werden kann. Auch eine Anhörung von Liliane Bettencourt ist geplant.

Eine Wende erfährt die Affäre mit der Klage eines L’Oréal-Kleinaktionärs. Dieser betrachtet den Vertrag, der dem Bettencourt-Vertrauten Banier seit 2002 und bis 2012 ein Jahresgehalt von 405.000 Euro als Berater für Kunst- und Modefragen zusichert, nicht nur als reine Gefälligkeit gegenüber der Hauptaktionärin, sondern auch als Fall von Veruntreuung von Firmengeldern.

Dass man im Élysée-Präsidentenpalast mit größter Aufmerksamkeit jede neue Entwicklung und Enthüllung verfolgt, hängt nicht nur mit dem Verdacht zusammen, dass Nicolas Sarkozy selbst direkt oder indirekt von der Großzügigkeit der Bettencourts profitiert haben könnte, sondern auch mit der Bedeutung von L’Oréal für den französischen Wirtschaftsstandort. Fast ebenso viel Kapital wie Liliane Bettencourt kontrolliert nämlich als traditioneller Partner der Schweizer Nestlé-Konzern. Die Aussicht, dass aufgrund der Krise bei den französischen L’Oréal-Eignern sich Nestlé dieses sehr einträgliche Unternehmen schnappen und seinen Sitz nach Vevey an den Genfer See verlegen könnte, ist für Präsident Sarkozy ein Albtraum.

RUDOLF BALMER