Entgelte geraten in den Sog des Mindestlohns

GELD Neue Tarifverträge unter 8,50 Euro sind out. Christliche Gewerkschaften stehen im Abseits

DGB-Gewerkschaften klagen gegen den Tarifvertrag für Regalauffüller

BERLIN taz | Der allgemeine Mindestlohn ist noch nicht eingeführt. Aber mancher Arbeitgeber überlegt nun, ob er noch einen Tarifvertrag abschließen soll, bevor die Politik 8,50 Euro Stundenlohn vorschreibt.

Beispiel Callcenter: Für die freien Callcenter, die keinem größeren Konzern angeschlossen sind, existierte bisher kein tariffähiger Arbeitgeberverband. Seit über zwei Jahren diskutiert die Branche, die immer wieder wegen ihrer Arbeitsbedingungen in Verruf gerät, ob sie einen Verband gründen will. Jetzt soll es plötzlich schnell gehen. „Wir werden in diesen Tagen entscheiden, ob wir Tarifverhandlungen führen wollen oder nicht“, sagt Jens Fuderholz vom Call Center Verband.

Ab 2015 soll Deutschland einen Mindestlohn von 8,50 Euro bekommen, haben Union und SPD in den Koalitionsvertrag geschrieben. Er kann nur dann bis Anfang 2017 hinaus gezögert werden, wenn „Branchentarifverträge repräsentativer Tarifpartner“ existieren, die Löhne unter 8,50 Euro vorsehen, besagt der Koalitionsvertrag. Doch die DGB-Gewerkschaften ziehen nicht mit. Bei der Gewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) sagt Sprecher Ruprecht Hammerschmidt: „Wir schließen nichts mehr unter 8,50 Euro ab.“ Erst ein Arbeitgeberverband, nämlich aus der Gartenbaubranche Sachsen, hat bei der IG BAU Interesse an Gesprächen angemeldet.

Allerdings hat so manche DGB-Gewerkschaft früher Niedriglöhne per Tarifvertrag geadelt: immerhin 11 Prozent von knapp über 4.700 tariflichen Vergütungsgruppen erreichten Ende 2012 nicht die von den DGB-Gewerkschaften geforderten 8,50 Euro, hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung errechnet. Die Gewerkschaften hoffen, dass die Quote rapide sinkt – und dass auch unliebsame christliche Gewerkschaften wie die Berufsgewerkschaft DHV im Einzelhandel aus dem Feld geräumt werden.

Die bietet seit 2011 einen Billiglohntarifvertrag nur für Regalauffüller an, den sie mit dem Arbeitgeberverband Instore und Service Logistik (ILS) abgeschlossen hat. Beschäftigte räumen seither bei Rossmann, Real oder Netto für DHV-Tariflöhne von rund sechs Euro Waren ein. „Ab 2015 ist damit Schluss, das ist nach dem Wortlaut des Koalitionsvertrags unstrittig“, sagt Ver.di-Sprecher Christoph Schmitz. Denn: Der DHV-Tarifvertrag sei kein Branchentarifvertrag, die DHV biete nur eine Teildienstleistung in der eigentlichen Branche Einzelhandel an. Um auf Nummer sicher zu gehen, haben Ver.di, die IG Metall und das Land Berlin im Dezember 2013 Klage beim Arbeitsgericht Hamburg gegen die DHV eingereicht. EVA VÖLPEL