INES KAPPERT ZUR ANSTEHENDEN SYRIENKONFERENZ GENF II
: Einschläfern wird schwieriger

Die UN stehen in der Verantwortung, die Zivilbevölkerung in Syrien zu schützen

Was für ein Debakel für die UN: Sekretär Ban Ki Moon hat den Iran auf Druck der USA wieder ausgeladen, die Vertreter der Opposition haben ihre Teilnahme an der Syrienkonferenz wieder zugesagt, und nun kann das Politikspektakel also am Mittwoch in Montreux in der Schweiz beginnen. Aber wozu? Wird die Konferenz tatsächlich einen Weg in Richtung Frieden bahnen können, so wie es der Titel Friedenskonferenz verspricht?

Westliche Diplomaten sind da eher skeptisch und dieser Tage vor allem eifrig darum bemüht, die Hoffnungen auf einen politischen Durchbruch möglichst klein zu reden. Die Rede ist daher von einem langen Prozess, der bevorstünde; und tatsächlich hat der US-amerikanische Außenminister Kerry anders als bei den Nahost-Gesprächen kein Zeitlimit gesetzt. Er verwies bereits vor einem Jahr hinter verschlossenen Türen darauf, dass die Vietnam-Konferenz damals eben auch Jahre gedauert habe. So schreibt es am Dienstag die New York Times.

Und sie zitiert einen namentlich nicht genannten „westlichen Diplomaten“, der düstere Visionen ausbreitet: „Jeder, der behauptet, das syrische Volk zu repräsentieren, lügt und täuscht, entweder um an der Macht zu bleiben oder um an die Macht zu kommen. Aber diesen Weg haben wir eingeschlagen. Im Sommer werden wir zwischen 150.000 und 200.000 Tote in Syrien zählen.“

Das ist doch verrückt. Da konzentrieren sich die Anstrengungen der Vereinten Nationen nach dem Giftgasanschlag im September 2013 und der avisierten Vernichtung von Chemiewaffen vor allem auf diese Konferenz, von der nicht nur der US-amerikanische Außenminister bereits vor einem Jahr wusste, dass sie zu einer Endlosangelegenheit werden könnte. Weswegen jetzt die breite Öffentlichkeit darauf eingeschworen wird, bloß nicht zu viel zu erwarten.

Und doch sollte man sich genau darauf nicht einlassen. Die Vertreter und Vertreterinnen der UN stehen in der Verantwortung, die Zivilbevölkerung in Syrien zu schützen. Sie stehen in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es zu lokalen Waffenruhen kommt, dass humanitäre Korridore eingerichtet und auf diese Weise alle Bevölkerungsteile unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung Zugang zu einer Grundversorgung haben.

Wenn die Konferenz Genf II diese Ziele nicht erreichen kann und mehr sein soll als Teil einer umfassenderen Beschäftigungstherapie für die diplomatische Welt, dann wird es höchste Zeit, dass zusätzliche Instrumente bemüht werden.

Schon jetzt von zukünftig 200.000 Toten zu reden, heißt der Nachricht von zigtausend Toten den Schrecken zu nehmen: Wundert euch nicht, wir haben es ja auch längst gesagt, es werden noch zigtausende Menschen mehr sterben. Nichts zu machen.

Doch so einfach wird es mit der bislang ja recht problemlosen Einschläferung auch der kritischeren Öffentlichkeit nun doch nicht werden.

Denn schon gehen die nächsten Schreckenszahlen über die Nachrichtenagenturen, die zu ignorieren nicht ganz leicht ist: Etwa 11.000 politische Gefangene sollen vom Assad-Regime zu Tode gefoltert worden sein. 200.000 weitere, sagen AktivistInnen, säßen noch in Syrien in Gefängnissen. Diese Zahl lässt sich nicht bestätigen, und generell ist bei all den kursierenden Zahlen Vorsicht geboten. Alle Parteien betreiben in einer so aufgehitzten Situation natürlich Politik. Ja, und es gibt auch auf seiten der Assad-Gegner massive Folterungen. Aber eben keine Gefängnisinfrastruktur. Das ist das Privileg von Assad.

Und selbst wenn „nur“ mehrere Zehntausende aus politischen Gründen inhaftiert sind, muss es angesichts der systematischen Folterungen in syrischen Gefängnissen darum gehen, dass diese schnell freikommen. Bevor sie verhungern, bevor das Assad-Regime seinen Rachefeldzug gegen seine Gegner „erfolgreich“ zu Ende geführt hat. Wie bei den anderen vermutlich 11.000 Toten.

Freiwillig wird sich Assad auch hier nicht bewegen, es braucht daher eine glaubhafte Drohkulisse, wie damals bei den Giftgasanschlägen auch. Und es braucht den politischen Willen, auf allen Ebenen und an sämtlichen politischen Stellschrauben zu drehen, also dezentrale Lösungen umzusetzen. Anders ist ein Übergang zu einem Syrien ohne Assad-Clan und auch ohne islamistisches Äquivalent nicht zu bekommen.