PRESS-SCHLAG
: Gefeierte Selbstentmachtung

REFORM Die Mitglieder des HSV wollen für den Erfolg ihre Macht in die Hände von Investoren legen. Ein äußerst riskantes Unternehmen

Die Mitgliederversammlung des Hamburger Sportvereins (HSV) hat mit einer Mehrheit von 79,4 Prozent einem Antrag zugestimmt, die Profiabteilung in einer Aktiengesellschaft auszugliedern und für externe Investoren zu öffnen. Der Vorstand muss das mit diesem Antrag verbundene Konzept nun bis zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Frühjahr ausarbeiten, wo es eine Dreiviertelmehrheit benötigt.

So wie sich die Stimmung unter den über 7.000 Vereinsmitgliedern im Saal darstellte, scheint der Durchmarsch des „HSVplus“-Konzepts wahrscheinlich zu sein. Selten ist eine Selbstentmachtung so euphorisch gefeiert worden. Der Initiator von „HSVplus“, der Exaufsichtsratsvorsitzende Ernst-Otto Rieckhoff, hatte recht mit seinem Gefühl, „den Nerv der Mitglieder“ getroffen zu haben.

Der Nerv besteht hauptsächlich in dem schmerzlichen Gefühl, seit vielen Jahren nicht den ihnen zustehenden Platz in der Fußballhierarchie einzunehmen – und zu wissen, dass mit dem augenblicklichen Schuldenstand von 100 Millionen Euro und dem augenblicklichen Personal von der Mannschaft bis zum Aufsichtsrat sich daran so schnell auch nichts ändern wird.

So hatte ein ebenfalls vorgeschlagenes sanfteres Modell der Kapitalisierung ohne Fremdbeteiligungen, wie es zehn andere Bundesligisten schon praktizieren, keine Chance. Dass der HSV künftig organisatorisch den Weg von Bayern München gehen und damit nach Rieckhoffs Worten in den nächsten Jahren „bis zu 100 Millionen Euro“ einnehmen will“, zeigt die Messlatte an. Zur nachholenden Bajuwarisierung des HSV gehört auch die bejubelte Absicht einiger Kickeridole der 80er Jahre, wie Thomas van Heesen oder Horst Hrubesch, sich „einbringen“ zu wollen. Ein Mitglied verglich die geschürten Erwartungen treffend mit Kohls „blühenden Landschaften“. Mit einer schnellen Kapitalisierung soll die Rückkehr in die europäische Spitze innerhalb von wenigen Jahren gelingen. Dass so eine Rückkehr nach Absturz und Finanzcrash gelingen kann, hat Borussia Dortmund zwar bewiesen. Allerdings mit dem Ausgliederungsmodell, das die HSV-Mitglieder eben nicht wollten, weil mit ihm die angekündigten Millionen des Speditions-Milliardärs Klaus-Michael Kühne nicht fließen würden. Der schickte seinen Generalbevollmächtigten nach Hamburg, der beteuerte, Kühne sei beim HSV nicht als Investor zu sehen, sondern als Edelfan, der „Gutes wolle“. „Öffnen sie den Verein für Menschen, die Gutes wollen“, predigte er. Doch nicht jeder konnte in diesem Augenblick vergessen, wie Kühne schon für sein bisheriges Millioneninvestment in Personalfragen reingequatscht hatte und für sein künftiges die Ablösung der gewählten Führung verlangt hatte.

Noch ist nicht entschieden, ob der HSV zur Bananenrepublik wird, in der man sich Personal- und Strukturentscheidungen kaufen kann. Aber die Gefahr ist seit Sonntag größer geworden. Oder wie es ein Mitglied sagte: „Ich hoffe nicht, dass der Verein irgendwann an den heute geschürten Erwartungen zerbrechen wird.“ RALF LORENZEN