rache für die belgrano von RALF SOTSCHECK
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Die Fußballweltmeisterschaft ist vorbei, die Besten haben gewonnen, jetzt ist wieder business as usual. In Irland hielt sich die Rundköpfigkeit ohnehin in Grenzen, denn das eigene Team musste zu Hause bleiben. Die irische Mannschaft hat sich die WM-Teilnahme selbst vermasselt. Hätte sie in beiden Spielen gegen Israel nicht jeweils in letzter Minute den Ausgleich kassiert, wäre sie statt der Schweiz nach Deutschland gefahren.

Vor neun Tagen zog es dennoch viele Männer in die Wirtshäuser, vor allem in diejenigen mit Großbildschirm, auf denen England gegen Portugal übertragen wurde. Fußball ist wieder Männersache. Damals, als die Iren zweimal bei Weltmeisterschaften mitspielen durften, mutierte das ganze Land zu Fußballfans. Bei der Rückkehr aus den USA, wo das Team 1994 ins Achtelfinale kam, säumten eine Million Menschen die Straße vom Dubliner Flughafen in die Innenstadt, um die Heimkehrer zu feiern. Opportunistische Politiker – welch Tautologie! – drängelten sich in die Fotos mit den Spielern, Frauen tanzten auf den Bürgersteigen, Nonnen kletterten Laternen hoch, um einen besseren Überblick zu haben.

Diesmal konnte man sich zurücklehnen und die Sache entspannt und neutral aus der Ferne beobachten. Aber vorvergangenen Samstag spielte England, und da man selbst nicht dabei war, wurde die Anteilnahme auf das Team von der Nachbarinsel projiziert – allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen. „Ich bin ganz neutral, wenn England spielt“, sagte Jim, ein Stammgast im „Brian Boru“, einem Norddubliner Pub. „Mir ist es vollkommen egal, wer die Engländer schlägt.“ Erstaunlich viele Gäste hatten sich portugiesische Trikots übergestreift. Als Beckham kurz nach der Halbzeitpause weinend ausgewechselt werden musste, stimmten die Trinker spontan das Lied „Sitting in an Irish bar watching England losing“ an, denn es passte so schön: „Beckham is crying“ heißt es in der dritten Strophe.

Kurz darauf wurde Englands Mittelstürmer Wayne Rooney, dessen Verstand bereits bei der Geburt in den Fußballschuh gerutscht ist, vom argentinischen Schiedsrichter vom Platz gestellt. Im „Brian Boru“ brach Jubel aus, als hätte der Wirt gerade Freibier ausgerufen. „Rache für die Belgrano“, rief ein Gast in Anspielung auf den Falklandkrieg, bei dem ein britischer Torpedo 1982 das argentinische Schiff „General Belgrano“ versenkt und 323 Mann getötet hatte. Nach Spielende wurde auf den portugiesischen Torwart getrunken, der beim Elfmeterschießen den Sieg – genauer: die englische Niederlage – gesichert hatte.

Obwohl jeder irische Junge und jeder irische Mann, der sich für Fußball interessiert, von klein auf eine Lieblingsmannschaft in der englischen Premier League hat und ihr jedes Wochenende die Daumen drückt, genießt die englische Nationalmannschaft nicht die geringsten Sympathien. Warum das so ist, wurde der irische Schauspieler Ardal O’Hanlon, der in der wundervollen Fernsehserie „Father Ted“ den schlichten Pfarrer Dougal spielt, in einer BBC-Talkshow einmal gefragt. „Vielleicht liegt es daran, dass wir 800 Jahre von England unterdrückt wurden“, vermutete O’Hanlon und erntete eisiges Schweigen vom englischen Publikum.