Saubere Stadt kennt kein Pardon

Weil sich ein Briefumschlag mit ihrem Namen auf dem Bürgersteig fand, soll eine Frau aus Uhlenhorst 35 Euro Strafe an das Ordnungsamt zahlen. Die Beweisfotos zeigt man ihr jedoch nicht

von THORSTEN STEER

In Zukunft ist es ratsam, seine Anschrift auf Umschlägen und Ähnlichem sorgsam unkenntlich zu machen, bevor diese in den Müll wandern. Sonst kann das teuer werden. Diese Erfahrung jedenfalls machte Ursula Brandt (Name geändert) aus Uhlenhorst. Vom Bezirksamt Hamburg-Nord bekam sie einen Brief mit einer Zahlungsaufforderung von 35 Euro. Um die Dringlichkeit des Anliegens zu verdeutlichen, heißt es in der Betreffzeile des Schreibens groß und fett gedruckt: „EILT! TERMINSACHE!“

Der Vorwurf: Verunreinigung eines öffentlichen Weges durch „diversen Müll“. Tatort: Wertstoffcontainer. Widerspruch: scheint zwecklos, da es einen „Beweis“ für die Ordnungswidrigkeit gebe – nämlich Fotos sowie drei Zeugen des „bezirklichen Ordnungsdienstes“. Brandt findet jedoch keine beigefügten Fotos, wie es etwa bei Schreiben an geblitzte Temposünder üblich ist. Die Frau ist vor den Kopf gestoßen. Sie versteht sich als umweltbewussten Menschen: „Ich trenne sorgfältig meinen Müll und schmeiße nichts daneben.“

Die Uhlenhorsterin geht folglich von einem Missverständnis aus und will die Sache mit einem Anruf beim Amt klären. Im Gespräch stellt sich heraus, dass der „diverse Müll“ ein Briefumschlag mit ihrer Anschrift sein soll. Dieser habe auf einem öffentlichen Weg gelegen, wovon es ein Foto gebe. Ursula Brandt erinnert sich an einen „unfreundlichen Mitarbeiter“, der sie darauf verwies, dass es „nichts weiter zu sagen“ gäbe und eine Klage für sie „aussichtlos“ wäre.

Den Grund für die Offensive gegen den Schmutz benennt Bezirkspressesprecher Peter Hansen: „Der touristische Besuch bei der WM“. Daher müsse gegen die „unansehnliche Vermüllung einzelner Gehwege“ vorgegangen werden. Sogar im Hamburger Regierungsprogramm steht das Ziel einer „sauberen Stadt“. Senat und Bürgerschaft stellen 30 Millionen Euro im Jahr bereit – unter anderem für den „bezirklichen Ordnungsdienst“ und eine Hotline zur Meldung von Verschmutzungen. Den Anspruch auf Bedeutsamkeit unterstreicht der Dienst bereits durch sein Erscheinungsbild. Die Mitarbeiter drehen in polizeifarbenen Kombis ihre Runden – inklusive Blaulicht auf dem Dach.

Für Pressesprecher Hansen sind 35 Euro „verhältnismäßig“ für einen auf dem Gehsteig liegenden Umschlag. Er vergisst nicht zu ergänzen, dass „zusätzlich zu dieser Summe“ auch noch die Hamburger Stadtreinigung eine Forderung stellen könne. Aber wie stellt das Bezirksamt überhaupt die eindeutige Schuld der Person fest, deren Name auf dem Umschlag steht? Kann nicht irgendjemand im Papiermüll gewühlt und Teile davon verstreut haben? Wie steht es mit einem kräftigen Windstoß, der den Papiercontainer ordentlich durchpustet?

Hansen zeigt sich unbeeindruckt: „Der Umschlag befand sich mitten in einem Papierstapel, der auf einem öffentlichen Weg deponiert war.“ Und was tun, wenn der Container voll ist? „Dann kann man den Müll eben nicht entsorgen“, erklärt Peter Hansen.

Ursula Brandt ist eine hartnäckige Frau. Sie will die „Beweisfotos“ von dem auf dem Gehweg liegenden Umschlag sehen. „Ich war beim Leiter des Bezirksamtes Nord. Der wollte mir die Fotos aber nicht zeigen“, erzählt sie zornig. Stattdessen habe er ihr geraten „doch jemand anderen zu benennen“, der für die Verschmutzung verantwortlich sei. Das wäre die „einzige Möglichkeit aus der Sache herauszukommen“.

Jetzt weiß Ursula Brandt auch nicht mehr weiter. In einem ist sie sich aber sicher: „Ich mach‘ mir nicht mehr die Mühe, bis zum Papiercontainer zu gehen. Das bringt ja nur Ärger“, sagt sie resigniert.