Der Osten brennt

SCHNAPS Vielfalt von Farben und Aromen: In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin produzieren kenntnisreiche Enthusiasten feinste Destillate und Liköre

Nach den guten Tropfen aus dem Osten muss man ein wenig suchen. Es gibt sie in ausgesuchten Bars, vor Ort beim Erzeuger und im Internet.

■ Gutsbrennerei Zinzow laden.edel-destillate.de

■ Alte Pomeranzealte-pomeranze.de/bestellen Bezug in Berlin u. a. bei Weinberg in der Winsstr. 64 a (Prenzlauer Berg), weinberg-berlin.de/

■ Pijökel 55

pijoekel.de/de/bestellen/index.html Weitere Bezugsquellen: www.pijoekel.de/de/bestellen/vertriebspartner.html

■ Schultz’ Siedlerhofwww.bauerschultz.de/?page=Brennerei Siedler Gin in Berlin u. a. in der Bar Schwarze Traube, www.facebook.com/schwarzetraube1

■ Steinreich 42 steinreich42.de/klarer-kornbrand-42 Bezug in Berlin: steinreich42.de/bezugsquellen

■ Das Korndaskorn.com/ursprung/ Bezug in Berlin: daskorn.com/quellen/ (sim)

VON SIBYLLE MÜHLKE

Effektivität ist Geschmackssache. Das sehen zumindest einige Schnaps- und Likörproduzenten zwischen Berlin und der Ostsee so, die ihre Produkte ganz entschieden als Genussmittel sehen – und nicht als Betäubungsmittel. Die feinen Schlückchen aus dem Osten sind wasserklar, schimmern golden wie flüssiger Bernstein oder liegen tiefstrot im Glas. Nase und Zunge erspüren warmes Schlehenaroma oder klare, aufgeräumte Kräuternoten, Vertrautes wie Rauch und Holz oder Himbeeren und Ungewohnteres wie Pomeranzen oder Ingwer.

Craft Spirits heißen solche nichtindustriellen, handwerklich hergestellten hochwertigen Spirituosen. Das Label ist ein inoffizielles, der Begriff ist aus den USA zu uns herübergeschwappt. So unterschiedlich wie Produzenten und Produkte auch sind – den hohen Qualitätsanspruch haben sie gemeinsam. Die Zutaten sind erstklassig, oft aus der Region. Die Herstellung der Brände, Geiste und Liköre erfolgt mit äußerster Sorgfalt und Akribie. Produziert werden Kleinauflagen, und nicht selten spielen dabei alte Familientraditionen eine Rolle. Und alle Hersteller – ganz gleich ob urbanes Digestif-Start-up oder Brandenburger Bauer und Brenner – sind mit viel Sachkenntnis und Hingabe dabei.

Die Gutsbrennerei Zinzow etwa liegt knapp zwei Autostunden von Berlin entfernt zwischen Neu-Hardenberg und Anklam. Gebrannt wurde in dem imposanten Ziegelbau seit Mitte des 19. Jahrhunderts, seit 2006 werden hier wieder Brände, Geiste und Liköre hergestellt – fast ausschließlich in Handarbeit und aus den Produkten der Region. Der Zinzower Haselnussgeist schmeckt wie Nusscreme für Erwachsene, der Zitronengeist ist eine Rarität, und der Baltic Dry Gin wird von Kennern als der „fast perfekte Gin“ eingestuft.

Nur ein Produkt hat die Hahnsche Gutsmanufaktur, ein kleiner Familienbetrieb aus der Nähe von Waren/Müritz im Sortiment: den fassgereiften Bitterorangenlikör Alte Pomeranze. Das Rezept stammt aus der Familie und wäre fast in Vergessenheit geraten, bis Graf und Gräfin von Burgsdorff es vor einigen Jahren ausgruben und die Likörproduktion wieder aufnahmen. Das braune Getränk lässt mit seinen fein austarierten Aromen alle industriell erzeugten Bittertropfen fad erscheinen.

Nase und Zunge erspüren Aromen von Rauch und Holz, Pomeranzen oder Ingwer

Direkt aus Berlin kommt der dezidiert nicht bittere Digestiv Pijökel 55. Seinen Geschmack holt der Likör vor allem aus den verarbeiteten Botanicals. Ingwer ist deutlich zu schmecken, aber auch Zimt und Nelken sind dabei. Trotz seiner würzigen Fülle ist Pijökel elegant: Er kommt fast ohne Zucker aus. Auch er ist ein Familiending: Gabriel Grote, der Sohn des ursprünglichen Erfinders, hat die Rezeptur seines Apothekervaters ausgegraben und kümmert sich nun um Herstellung und Vertrieb.

Das volle ländliche Programm deckt der Siedlerhof der Familie Schultz in Werder/Havel ab: Spargel, Erdbeeren und anderes Obst zum Selbstpflücken, Hoffeste und rustikale Gastronomie. Doch etwas unterscheidet diesen Hof von anderen Orten dieser Art: die beeindruckenden Edeltropfen, die dort hergestellt werden. Michael Schultz destilliert hier preisgekrönte Obstbrände, Jahrgangswhiskys, die sich vor der schottischen Single-Malt-Prominenz nicht zu schämen brauchen, und einen in der Barszene hochgeschätzten Gin.

Auch zwei bemerkenswerte Kornbrände sind Berlin-Brandenburger Produkte. Theo Ligthart, in Berlin ansässig und eigentlich Künstler, hat schon vor einigen Jahren den Luxus-Korn Das Korn lanciert und damit das Image des langweiligen „Kurzen“ ordentlich aufpoliert. Nun legt er den alltagstauglicheren, auch sehr feinen und vielseitigen Steinreich 42 nach. Gebrannt wird der Weizenkorn im Unterspreewald, im Dorf Steinreich. Obwohl das auch in diesem Fall nebensächlich ist, bezeichnet die Zahl 42 die Effektivität des Getränks in Prozent des Alkoholgehalts.