Schulden allein kein Kriterium

EURO Ökonomen erklären, wie ein neuer Stabilitätspakt für die Eurozone künftige Krisen verhindern soll

Ausgeglichene Leistungsbilanzen sind das vorrangige Ziel

VON TARIK AHMIA

Konjunkturforscher vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) haben am Mittwoch ein Konzept vorgestellt, das auf eine Totalreform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes hinausläuft. „Der Eurostabilitätspakt war nicht in der Lage, die dramatische Krise der Eurozone zu verhindern“, sagte IMK-Direktor Gustav Horn. „Er ist wie ein blinder Wachhund, weil die Kriterien nicht ausreichen, um die ökonomische Stabilität in der Eurozone zu beurteilen.“

Der EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde 1997 beschlossen. Wirtschaftliche Stabilität in der Eurozone soll demnach sichergestellt werden, indem die öffentliche Verschuldung der Staaten verbindlich begrenzt wird: die jährliche Neuverschuldung auf 3, die Gesamtschuld auf 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Anhaltende Verstöße können mit empfindlichen Geldstrafen bestraft werden.

„Wer nur auf die Verschuldung der öffentlichen Haushalte blickt, blendet entscheidende wirtschaftliche Ungleichgewichte aus“, kritisierte Horn. Die ökonomische Stabilität in einem EU-Land könne nur zuverlässig beurteilt werden, wenn die Finanzsituation von Staat und Privatsektor künftig gemeinsam analysiert werde. Schließlich sei die massive Verschuldung des Privatsektors dafür verantwortlich, dass die Staatsverschuldung in der Eurozone seit 2007 um zwischen 20 und 30 Prozent gestiegen ist. Die Schieflage im Finanzsektor musste durch milliardenteure steuerfinanzierte Rettungspakete behoben werden.

Aus der gestiegenen öffentlichen Verschuldung ergibt sich laut EU-Stabilitätspakt jedoch zwingend ein drastischer staatlicher Sparkurs, der nun in allen Ländern der Eurozone umgesetzt wird. „Dadurch drohen dem Euroraum ein konjunktureller Rückschlag und noch mehr Arbeitslosigkeit“, sagte IMK-Konjunkturforscher Achim Truger.

Die Experten machen daher in ihrem Reformkonzept die Leistungsbilanz eines Landes zum maßgeblichen Stabilitätsindikator. Denn in dieser werden öffentlicher und privater Schuldenstand ebenso berücksichtigt wie Ungleichgewichte im Außenhandel.

Das Saldo einer Leistungsbilanz sollte laut IMK nicht stärker als 2 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt eines Landes abweichen. Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen müssten ihre Binnennachfrage durch einen Mix aus expansiver Fiskalpolitik, Investitionsanreizen und Strukturreformen stimulieren. Analog sollten Defizitländer ihre Ausgaben absenken sowie die Steuern erhöhen. Wenn ein Land seine Leistungsbilanz nicht innerhalb von drei Jahren stabilisiere, könne die EU der jeweiligen Regierung dann einen verbindlichen Ausgabenpfad vorschreiben.

Die IMK-Ökonomen zielen damit insbesondere auf die anhaltenden ökonomischen Ungleichgewichte zwischen den Ländern der Eurozone ab. So hat Deutschland seit zehn Jahren durchweg Überschüsse in seiner Leistungsbilanz erzielt, weil hierzulande die Lohnstückkosten zwischen 1999 und 2007 nur um 1,8 Prozent gestiegen sind. Zudem seien die deutschen Staatsausgaben im gleichen Zeitraum real gesunken. „Mit dieser Strategie destabilisiert Deutschland die Währungsunion“, kritisiert Horn.

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