Freispruch für Radkurierin

PROZESS Nach einem Zusammenprall mit einer Radfahrerin stirbt eine Frau. Die Zeugen widersprechen sich. Das Amtsgericht urteilt: Ein tragisches Unglück – wahrscheinlich war die Passantin bloß unaufmerksam

„Ein Radfahrer darf sich darauf verlassen, dass jemand guckt vor Queren des Radwegs.“

Richterin Ellen Best

Sie lacht ein wenig, als der Staatsanwalt sie nach ihrem Fahrrad fragt, wie man lacht, wenn man ahnt, dass das jetzt brenzlig werden könnte. „Ein Rennrad“, sagt sie und ihre Hände wollen die Reifengröße andeuten, „ein 26er“, und dass sie damit zur Not auch 35 Stundenkilometer schaffe. „Aber das ist nicht meine Arbeitsgeschwindigkeit“, fügt sie hinzu.

Doreen S. hat Kunsttherapie studiert, sie arbeitet als Radkurierin. Am 1. Dezember vergangenen Jahres befährt sie den Radweg entlang der vorderen Parkallee in Richtung Stern. Kurz vor der Ecke Am Barkhof parkt am Straßenrand ein Taxi, der Fahrer hat schon mal die Tür geöffnet. Auf dem Fußweg rechts unterhalten sich zwei Passantinnen. „Unvermittelt“, so schildert es S. in ihrer Einlassung, die ihr Verteidiger gestern vor dem Bremer Amtsgericht verliest, habe sich eine der Damen dann in Bewegung gesetzt. „Ich ging zum Taxi“, gab die 72-jährige Hildegard W. anschließend dem Polizeibeamten zu Protokoll, da lag sie bereits am Boden beziehungsweise im Krankenhaus. Einen Tag später war sie tot. Die Obduktion wies eine Blutung unter der harten Hirnhaut nach, wie sie typischerweise durch Stürze verursacht wird, noch verschärft durch einen krankheitsbedingten Mangel an Blutplättchen. Die Staatsanwaltschaft klagte Doreen S., 31 Jahre alt, wegen fahrlässiger Tötung an.

W., die „kaum laufen konnte“, habe am Arm des Taxifahrers den Radweg überquert und das Taxi fast erreicht gehabt, als der Fahrer sie alleine ließ, um die Tür zu öffnen. So schildert die Zeugin, die sich mit W. zuvor auf dem Fußweg unterhalten hatte, den Hergang des Unfalls. Sie habe das damals so notiert, sagt sie, konkret könne sie sich heute nicht mehr erinnern. S. sei einfach nicht ausgewichen, „sie hätte auch abspringen können“.

Der Taxifahrer dagegen beschreibt, wie er W. am Arm eingehakt die Treppe hinabgeführt und diese sich auf dem Fußweg dann ihrer Bekannten zugewandt habe. Er sei alleine zum Taxi vorgegangen. Als er die Tür öffnete, habe er die „Vorsicht, Vorsicht“-Rufe von S. gehört. „Als ich mich umdrehte, lag Frau W. schon am Boden.“

Sie sei so weit wie möglich nach links ausgewichen, schildert S. die Situation, aber links vom Radweg standen Straßenschilder und eine Parksäule im Weg, rechts die andere Passantin. Sie habe gebremst, sei neben W. zum Stehen gekommen, habe diese nur noch leicht mit der Schulter berührt, „kaum mehr, als wenn sich zwei Personen aus Versehen leicht anrempeln“, sagt ihr Verteidiger. W. habe einen Ausfallschritt gemacht und sei dennoch gestürzt: „Das konnte nicht vermieden werden.“

Staatsanwalt Uwe Picard verweist auf den „eklatanten Widerspruch“ zwischen den Zeugenaussagen, hält die Angaben von S. damit für „nicht widerlegbar“. „Es spricht einiges dafür, dass Frau W. einfach unaufmerksam war, als sie den Radweg überquerte“, urteilt Richterin Ellen Best. Eine Radfahrerin müsse damit nicht rechnen, „sie darf sich darauf verlassen, dass jemand guckt“. Im Zweifel für die Angeklagte – Freispruch. SIM