Risse in britischen AKWs

Die britische Atomsicherheitsbehörde stellte Risse in mehreren Reaktorkernen fest. Regierungsberater fordert sofortiges Abschalten

„Der weitere Betrieb ist ein Roulettspiel mit der öffentlichen Sicherheit“

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Der Zeitpunkt könnte kaum ungünstiger sein. Die Enthüllung, dass ein halbes Dutzend britischer Atomkraftwerke schwere Schäden aufweist, trifft die Labour-Regierung unvorbereitet. Eigentlich wollte sie in ihrem Strategiepapier zur Energieversorgung einer neuen Generation von Atomkraftwerken schon nächste Woche grünes Licht geben. Nun muss sie das wohl um ein paar Wochen verschieben.

Die Atomsicherheitsbehörde hat in verschiedenen Untersuchungen bei mehreren Atomkraftwerken Risse im Reaktorkern festgestellt. Die Berichte mussten auf Antrag von Greenpeace und der Bürgerinitiative „Stop Hinkley“, die sich auf das Gesetz zur Informationsfreiheit beriefen, veröffentlicht werden. Die Behörde kennt nach eigenen Angaben weder das genaue Ausmaß der Schäden noch die Ursache der Risse. Die Behörde warnt jedoch, dass der weitere Betrieb des AKWs Hinkley Point B in der Grafschaft Somerset das Risiko eines Unfalls vergrößere. Zwar bestehe keine unmittelbare Strahlengefahr für die Öffentlichkeit, aber es sei möglich, dass sich die Schäden verschlimmern und die endgültige Schließung von Hinkley und anderen Atomkraftwerken derselben Bauart erfordern.

Neben Hinkley sind die graphitmoderierten, gasgekühlten Reaktoren Hartlepool in Cleveland sowie Hunterston und Torness in Schottland betroffen. Aber auch in Heysham und Dungeness werden Risse im Reaktorkern vermutet. Die Atomsicherheitsbehörde fordert häufigere und vor allem tiefer gehende Kontrollen sämtlicher britiBritanniensschen Atomkraftwerke, die dann jedoch für mehrere Wochen abgeschaltet werden müssten. Das staatliche Unternehmen British Energy, das 14 Atomkraftwerke betreibt, will die ursprünglich angegebene Lebensdauer von 30 Jahren für gasgekühlte Reaktoren gerne erheblich verlängern, räumte aber in einem Papier 2004 ein, dass das vielleicht nicht möglich sei.

Die Risse in den Reaktorkernen waren British Energy damals bekannt, aber man hat die Öffentlichkeit nicht informiert. Hinkley und Hunterston sind 1976 ans Netz gegangen – 2006 müsste also eigentlich Schluss sein.

Der Atomingenieur John Large, der die Regierung bei ihrer Energiepolitik beriet, sagte vorgestern, der weitere Betrieb von Hinkley sei „ein Roulettspiel mit der öffentlichen Sicherheit“. British Energy habe keine Ahnung, wie robust der Reaktorkern in Hinkley noch sei. Die Risse könnten dazu führen, dass die Kontrollstäbe nicht mehr in die Präzisionslöcher passen und man den Reaktor im Notfall nicht mehr abschalten könne. „Die gasgekühlten Reaktoren sollten deshalb sofort abgeschaltet werden“, so Large. Er warf der Atomsicherheitsbehörde vor, sich davor zu drücken. „Welcher Atominspektor“, so fragte er, „schließt zu einem politisch so kritischen Zeitpunkt schon ein AKW?“

Der britische Premierminister Tony Blair und sein designierter Nachfolger, Schatzkanzler Gordon Brown, wünschen sich wegen der Treibhausgase und der steigenden Ölpreise neue Atomkraftwerke, obwohl die Regierung das in ihrem Weißbuch zur Energie vor drei Jahren noch strikt ablehnte. Stephen Tindale, der Geschäftsführer von Greenpeace, sagte: „Die Dokumente der Atomsicherheitsbehörde machen die Inkompetenz von Regierung und British Energy deutlich. Sie wussten seit Jahren von den Rissen, weigerten sich aber, etwas zu unternehmen.“