SÜDAMERIKA: DER MERCOSUR WÄCHST, ABER DIE PROBLEME NEHMEN ZU
: Linksruck mit vielen schönen Worten

Nun ist es amtlich: Das Venezuela des Hugo Chávez ist der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur als fünftes Vollmitglied beigetreten. Dies signalisiert deutlich, wie sehr sich das Koordinatensystem in Lateinamerika verändert hat. Doch zu Euphorie besteht kein Anlass: Bislang nämlich ist der Schritt kaum mehr als eine Geste.

Die drei politischen Schwergewichte in Südamerika – Chávez für Venezuela, Lula für Brasilien und Kirchner für Argentinien – eint das erklärte Bemühen, die neoliberale Wirtschaftspolitik auf dem Kontinent zu überwinden. Im vergangenen November hatten sie bereits gemeinsam die gesamtamerikanische Freihandelszone FTAA verhindert und Monate später den Bau einer riesigen Erdgasleitung angekündigt. Doch zugleich kriselte es im Mercosur wie schon lange nicht mehr.

Paraguay und Uruguay, die sich von Argentinien und Brasilien an die Wand gedrängt sehen, treiben Keile in das Bündnis. Mit den USA verhandeln sie über weitreichende bilaterale Abkommen auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet. Im Konflikt um den Bau zweier umweltverschmutzender Zellulosefabriken in Uruguay zeigten sich Kirchner und sein Amtskollege Vázquez unfähig zum Dialog – Argentinien schaltete den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein. Brasília schließlich jagte im Alleingang einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hinterher. Vor allem aber hat sich an der sozialen Schieflage in den einzelnen Ländern kaum etwas geändert – trotz teilweise beeindruckender Wachstumsraten. Die Politik in Chile, Peru, Kolumbien und Mexiko unterstreicht zudem, wie bescheiden der viel beschworene Linksruck in Lateinamerika in Wirklichkeit ist.

Innenpolitisch ist es Lula, Chávez und Kirchner gelungen, ihre Position zu festigen. Alle drei können mit ihrer Wiederwahl rechen. Alle drei unterstützen Boliviens viel versprechenden Reformkurs nach Kräften. Gute Voraussetzungen, den vielen schönen Worten über die regionale Integration unter sozialem Vorzeichen endlich Taten folgen zu lassen. Der erweiterte Mercosur ist dafür die beste Ausgangsbasis. GERHARD DILGER