Exgeisel will Geld

KOLUMBIEN Kritik an 6,5-Millionen-Forderung der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Betancourt

Warum Betancourt jetzt ausgerechnet den Staat verantwortlich macht, bleibt unklar

PORTO ALEGRE taz | Am Freitag trauten die KolumbianerInnen ihren Augen und Ohren nicht: Ingrid Betancourt, die prominenteste aller je von der Farc-Guerilla verschleppten Exgeiseln, fordert vom Staat umgerechnet 6,5 Millionen Euro Entschädigung. Damit sollen die von ihr erlittenen finanziellen und psychischen Schäden ausgeglichen werden. Noch eine Woche zuvor war sie der Star einer Feierstunde gewesen, wo sie und einige ihrer Leidensgefährten zusammen mit hohen Militärs an die Befreiung vom 2. Juli 2008 erinnerten. Zwei Tage zuvor, so wurde jetzt bekannt, hatten Betancourts Anwälte den Behörden die Forderungen zugestellt.

In völligem Einklag mit der Bevölkerung konnte sich Vizepräsident Francisco Santos „empört und traurig“ über das Verhalten der früheren Senatorin zeigen. Betancourt sei „undankbar und gierig“, sagte der Politiker, der 1990 selbst von der Drogenmafia entführt worden war. Angesichts des Einsatzes der Streitkräfte bei der Befreiung Betancourts sei man „überrascht und erschüttert über die genannten Forderungen“, heißt es in einer Erklärung aus dem Verteidigungsministerium.

Am 23. Februar 2002 wurde die Präsidentschaftskandidatin Betancourt in Südkolumbien an einer Straßensperre der Farc verschleppt – mehrfache Warnungen vor einer Fahrt in das Guerillagebiet hatte sie in den Wind geschlagen. Sogar eine Erklärung, dass sie die Fahrt auf eigene Gefahr unternehme, unterschrieb sie, sagte Camilo Gómez, der Friedensbeauftragte der damaligen Regierung.

Damit ist Betancourts Ruf, der in Kolumbien nie so gut war wie im fernen Europa, endgültig ruiniert. Bereits 2009 hatten sie Mitgefangene als arrogant, herrschsüchtig und egoistisch geschildert. Ihr Exmann Juan Carlos Lecompte und der französische Diplomat Noël Saez, die sich jahrelang für sie eingesetzt hatten, warfen Betancourt ebenfalls vor, sie sei undankbar. Warum sie jetzt ausgerechnet den Staat für ihre Leidenszeit verantwortlich macht, bleibt unklar. Für ihre Memoiren, die ab September erscheinen sollen, seien ihr schon jetzt 6,8 Millionen Dollar sicher, schrieb das Magazin Semana, die aussichtslose Schadenersatzforderung komme einem „politischen Selbstmord“ gleich. Ihren „Fehler“ führt es auf seelische „Verheerungen“ durch die langjährige Entführung im kolumbianischen Dschungel zurück. GERHARD DILGER