Der Ritter von der hypertonischen Gestalt

Ein britischer Germanist foppt die deutsche Presse – indem er sich als Onkel eines Fußballers ausgibt. Dessen Familie bezeichnet das lediglich als „einen Haufen Hoden“, und eine traditionsreiche Tageszeitung sieht Parallelen zu den gefälschten Hitler-Tagebüchern

Wer ist Martin Rooney? Die taz hat es schon immer gewusst und sogar einmal geschrieben. 2003 war das, und der promovierte Germanist war gerade Gegenstand und Partei einer unappetitlichen Auseinandersetzung über den Friedenspreis der „Villa Ichon“ in Bremen, den er bekommen sollte und dann doch wieder nicht – und den er sich am Ende vor Gericht erstritt.

Martin Rooney, schrieb damals taz-Kolumnist Ulrich Reineking, sei ein „spleeniger Brite jenes Typs, der auf der Insel zuhauf als rosa Elefant verkleidet mit Bergsteigerseilen Häuser erklimmt, nackidei im Hydepark auf der Nasenflöte ‚Pomps and Circumstances‘ spielt, Plumpudding futtert, im weißen Schürzchen am Tampon der Geliebten aus dem Landadel schnuppert und schon bei Asterix und Obelix mit dem Stoßseufzer Erwähnung fand: ‚Die spinnen, die Engländer!‘“ Hinzu fügen könnte man noch, dass dem, der ihm begegnet, wahrscheinlich zuerst das Wort Bluthochdruck einfällt.

Viel mehr ist über den wohl in Manchester geborenen und 1973 nach Bremen umgesiedelten Publizisten nicht bekannt. Außer, dass er über den Schriftsteller Armin T. Wegener geforscht und im Zuge dieser wissenschaftlichen Arbeiten zur Aufklärung über den Völkermord an den Armeniern beigetragen hat. Und, dass er leidenschaftlich gerne Fußball guckt. Und vor allem, dass Dr. Rooney mit dem englischen Nationalstürmer gleichen Namens nichts zu tun hat.

Dass jemand unbekanntes mit einem Star weder verwandt noch verschwägert ist, wird im Normalfall nicht gemeldet. Diesmal aber doch, und nicht nur in der taz nord: „The Rooney who won the hearts of Germans is a hoaxer“, war am Samstag die Headline eines 2.000-Zeichen-Artikels in The Times, und hoaxer lässt sich ungefähr als „Scherzkeks“ übersetzen. Schon einen Tag zuvor hatte The Independent das Geheimnis von „Rooney’s uncle“ gelüftet. Den Bären, Gevatter des Raubeins zu sein, hatte der Literaturwissenschaftler nämlich dem Weserkurier, dem Magazin Rund, Radio Bremen, der Jungle World, der ARD und auch der taz nord aufgebunden.

Gemein? Klares Foul? Rote Karte? Nun ja: Auch Wunschneffe Wayne ist kein ausgewiesener Fairplayer. Zudem ist zuzugeben, dass die Recherche-Tiefe nicht von deutscher Gründlichkeit zeugte: Eine nachweislich echte „family source“ hat die Times befragt, nachdem der Pseudo-Neffe schon alle Gerüchte über seinen „uncle of Bremen“ dementiert hatte. Die „family source“ hat des Germanisten Geschichte dann wörtlich als „einen Haufen absoluter Hoden“ bezeichnet, was wohl bedeuten soll: So ganz kann das nicht stimmen.

Eine Krise des deutschen Journalismus kann man deshalb aber auch nicht ausrufen, selbst wenn das Weltblatt den bösen Fußballonkel in eine Reihe mit den Hitler-Tagebüchern stellt. Martin Rooney ist eher ein Ungeheuer von Loch Werdersee. Oder eben schlicht eine Ente. Irren ist menschlich, weiß auch der Pressekodex, und schreibt deshalb im Falle eines Falles vor, für eine Richtigstellung zu sorgen. Die publizistisch spannendste Frage ist, wann auch das Fernsehen sein Millionenpublikum aufklärt.

Zurück nach Bremen, zurück ins Jahr 2003 und zurück zu Rooney: Ist der Mann denn nun ein Schuft? Ein maliziöser Tunichtgut und Menschenverschaukler? Eher nicht. Sein Freund, der Publizist Ralph Giordano hat ihn seinerzeit „als Ethiker, Moralist und Humanist“ bezeichnet, der ihm „Hochachtung einflößt, wie nur wenige andere“. Grund: Rooneys Einsatz „für die Schwachen, für die Verfolgten, und für die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern“.

Martin Rooney, so Giordano damals, habe „seine Karten auf den Tisch gelegt, weil es nichts zu verheimlichen gibt, eine offene Vita“. Nun ist das die charmanteste Umschreibung für: ein ödes Leben. Und ein ödes Leben passt schlecht sowohl zu all der beschworenen Ritterlichkeit als auch zur Fülle an Büchern, die so ein Literaturwissenschaftler Tag für Tag konsumiert.

Martin Rooney ist seit Samstag nicht zu erreichen. Vielleicht aber gibt es einen guten Grund, weshalb der Ritter mit der hypertonischen Gestalt erzählt hat, Waynes Onkel zu sein: Dass er selbst fest daran glaubt. bes