Das Geräusch der Bienen

HAUSBESUCH Sie haben einen Tante-Emma-Laden, der auch ihr Wohnzimmer ist. Bei Silvia und Eduard Lang in Biebrich

VON ARNO FRANK
(TEXT) UND BERND HARTUNG (FOTOS)

In Biebrich, dem Neukölln von Wiesbaden, direkt am Rhein, zu Besuch bei Silvia (60) und Eduard (63) Lang.

Draußen: Brausende Rathausstraße. Zwischen der kleinen Bäckerei und dem übermächtigen Rewe behauptet sich wie eine besonders flamboyante Tante Emma „Das etwas andere Wohnzimmer“. Im leicht beschlagenen Schaufenster dreht eine alte Modelleisenbahn zwischen noch älteren Möbeln ihre Runden. Direkt davor und neben dem Eingang präsentieren sich Körbe mit Früchten, denen der Frost nichts ausmacht.

Drin: Äpfel, Orangen, Bananen, Melonen, Erdbeeren, Kiwis, Lauch, Wirsing, Kohl, Salate, Kartoffeln und andere Lebensmittel türmen sich hier, liebevoll arrangiert, zwischen antiken Röhrenradios, Ölgemälden, Sekretären, Lampenschirmen, Stehtischen, Gipshunden und anderen dekorativen Elementen. Es gibt eine kleine Theke für Wurst und eine für Käse, überwiegend mit Spezialitäten aus der Region. In der Tiefe des Raums ein Weinregal und eine gemütliche Ecke mit Strandkorb, in der ein anständiges Mittagessen eingenommen werden kann. Es kocht der Chef persönlich. Die Wohnung der Langs liegt über dem Laden, nach Feierabend ist das „Wohnzimmer“ ihr Wohnzimmer.

Wer macht was? Eduard ist der Einkäufer. Er holt den Handkäse in Wetzlar, Obst und Gemüse aus der Region, abhängig von den Jahreszeiten. „Morgens fährt er auch auf den Großmarkt“, erzählt Silvia, „weil hier trotz der Klimaerwärmung noch keine Bananen wachsen“. Bio gibt es nicht, weil es kaum Biobauern in der Gegend gibt. Silvia erledigt als „Seele des Ladens“ Management, Personal und Dekoration: „Ich kümmere mich darum, dass hier Ostern reinkommt, dass Weihnachten reinkommt, dass sich das Wohnzimmer auch als Wohnzimmer darstellt. Es soll wie ein Bild aussehen, das man mit nach Hause nehmen möchte.“

Wer denkt was? „Ewig geht es natürlich auch nicht.“ Eduard könnte nächstes Jahr in Rente gehen, aber beide „fühlen sich dafür noch zu jung“. Silvia sagt: „Wenn ich irgendwo angestellt wäre, würde ich sagen: Tschüss, logisch.“ Im Laden aber können beide ihre Ideen verwirklichen, zumal auch der Sohn nicht sagt: „Geh heim, du kannst dir nichts mehr merken, kannst nichts mehr tragen“, im Gegenteil.

Silvia: Zog vor fast 30 Jahren nach Biebrich, „nicht nach Wiesbaden“. Als damals alleinerziehende Mutter von zwei Kindern war es nicht einfach, eine Wohnung zu finden. „Ich war bei der Versicherungswirtschaft, als Ausbildungsleiterin.“ Ein einflussreicher, begehrter Posten. Irgendwann, „man wird ja auch als Frau nicht jünger“, sollte sie „zurück ins Glied“. Das hat ihr nicht gefallen, weil sie in ihrem Beruf selbständig gewesen war und das nicht missen wollte. Also eröffnete sie einen Laden für Geschenkartikel. Der wurde zu klein, sodass sie in die Rathausstraße umgezogen ist.

Eduard: Ist mit 20 aus Kärnten „für ein Jahr“ ins Rhein-Main-Gebiet, wo es damals für Elektriker viel zu arbeiten gab – und blieb. Inzwischen ist er „leider sehr eingedeutscht worden“, meint Silvia, und wirklich, man könnte ihn für einen Hessen halten. Im Laden bot er zunächst Dienstleistungen für die Bauwirtschaft an, bevor das Konzept Richtung „Tante Emma“-Laden driftete.

Das erste Date? Silvia war im Vorstand des lokalen Fußballvereins Biebrich 19, Eduard Abteilungsleiter der „alten Herren“. Das alljährliche Mosburgfest aller Biebricher Vereine war der Auslöser: „Die haben immer so Nachgespräche, wie’s gelaufen ist. Ich wollte da eigentlich nicht hingehen, ich hatte keine Lust.“ Also schickte sie Eduard, ging aber doch noch hin. „Der Heimweg dauerte dann ein bisschen lang“, mit Umweg über den örtlichen Griechen.

Die Hochzeit: Am 2. Oktober 1999 in einem Schloss in Kärnten. „Kirchlich durfte er nicht, weil er schon einmal verheiratet war. Die Katholiken sind davon nicht so begeistert.“ Eduards Bruder war der Standesbeamte. Die Zeremonie zog sich ewig, weil „die Familie so groß ist“.

Kinder: Jeder hat zwei. Der jüngere Sohn von Silvia, Kai (30), arbeitet im Laden mit. Seine Freundin Michelle (21) war dort die erste Auszubildende und wurde übernommen. Beide wollen den Laden weiterführen.

Der Alltag: Um 4 Uhr klingelt der Wecker und wird „mit einem freundlichen Lächeln begrüßt“. Silvia ist um 5.30 Uhr im „Wohnzimmer“, um Kaffee zu kochen, Frühstück zu machen und die Wäsche zu waschen in den Waschmaschinen im Laden. Um 6.30 Uhr kommt Eduard mit den frischen Sachen zurück. Jeder Tag hat seinen eigenen Rhythmus, aber „wir machen das Ganze eigentlich ohne Pause“. Geschlossen wird um 19 Uhr: „Dann gibt es Leute, die sehr gerne zu einem Schwätzchen reinkommen. Kundschaft, die man ein wenig mehr ins Herz geschlossen hat, oder Durchreisende.“

Was halten Sie von Merkel? Hier spricht Silvia, die lange für die SPD im Wiesbadener Stadtparlament saß: „Ich finde diese Frau bewundernswert, muss ich unabhängig von der Parteizugehörigkeit sagen. Sie sitzt viel aus, das hat sie von ihrem Ziehvater gelernt – aber das muss man auch können, das Aussitzen, dazu braucht man Nerven.“ Mit der Großen Koalition ist sie nicht einverstanden: „Weil hier zu viele Maschen fallen gelassen werden. Man sollte zu dem stehen, was man versprochen hat. Wenn ich keine Mehrheit habe, gehe ich eben in die Opposition.“

Wann sind Sie glücklich? „Wenn wir in Kärnten auf der Alm liegen und nichts weiter hören als das Geräusch der Bienen. Oder noch die Kuhglocken.“

Nächstes Mal treffen wir Familie Cordts in Neumünster. Wenn Sie auch einmal besucht werden möchten, schreiben Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de