Die Streik-Klinik

Im Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster herrscht der Ausstand. Leere Operationssäle sollen den Ärzten volle Kassen bescheren – die Patienten scheint das nicht allzu sehr zu stören

Aus NeumünsterThorsten Steer

Eine junge Familie macht es sich im Grünen gemütlich und lässt sich die Sonne auf die Nase scheinen, Vögel zwitschern, ein laues Lüftchen weht durch die Bäume – pure Kleinstadt-Idylle vor dem Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster. Nichts deutet daraufhin, dass hier ein Arbeitskampf tobt. Dabei sind die Ärzte seit Montag, 12 Uhr, im Streik – wie auch in Rendsburg und Eckernförde. Das fällt erst im Eingangsbereich auf: „Ausgeruhte Ärzte für kranke Menschen“ steht auf dem Transparent des Streikpostens. Zwei Mediziner verteilen Flyer. Sie wollen die Patienten überzeugen, dass ihre Forderungen nach besserer Bezahlung und weniger Arbeitsbelastung gerechtfertigt sind.

Für den Streik stimmten 97 Prozent der Ärzte. Mit ihrer Gewerkschaft, dem Marburger Bund, wollen sie damit einen eigenen Tarifvertrag erreichen. Nachdem sich Gewerkschaft und Länder bei den Unikliniken geeinigt haben, wollen jetzt die Ärzte der kommunalen Kliniken nachziehen. Die Konsequenz: leere OP-Säle und verwaiste Korridore. Während des Streiks behandeln die Ärzte in der Friedrich-Ebert-Klinik lediglich Notfälle und Krebspatienten. Diesen Dienst leisten etwa 100 von eigentlich 140 Medizinern.

Herrscht auf der Intensivstation, wo die schwereren Fälle liegen, noch normaler Betrieb, ändert sich das Bild auf dem Weg zur Aufnahme. Die Gänge, die dorthin führen, werden immer menschenleerer, die Station selbst läuft auf Sparflamme. Normalerweise verbringen hier etwa 20 Patienten ihre ersten 24 Stunden im Krankenhaus. Danach wechseln sie, wenn nötig, in eine spezialisierte Abteilung – bei Hochbetrieb ist auch der Gang voll belegt. Heute dagegen wirkt er wie leer gefegt. In den Zimmern können sich die Kranken bequem ausbreiten – sie sind ja nur zu siebt auf Station.

Assistenzarzt Timo Röben verteidigt den Ausstand: „Ich zahle immer noch die Schulden für meine Ausbildung zurück. Wir fordern lediglich, dass Ärzte so bezahlt werden wie in anderen EU-Ländern – in Großbritannien etwa.“ Ein Berufsanfänger bekomme aber nach der ver.di-Einigung, die der Marburger Bund ablehnt, „sogar 250 Euro weniger“ im Monat. Der 35-jährige Internist wohnt in Hamburg und pendelt täglich. Für Freizeit ist nicht mehr viel Platz. Es macht ihn deshalb wütend, dass er sich viel um Organisatorisches kümmern muss. Das mache „bis zu 50 Prozent“ seiner Tätigkeiten aus. Röben zählt auf: Datenverschlüsselung, Dokumentationen sowie das neue „Kontrollsystem“ zur Kosteneinsparung. Letzteres sieht eine aufwändige Prüfung des Patientenzustandes vor – zur Rechtfertigung der Behandlungskosten. „Überflüssig“, findet Röben dieses System. Wenn er sich mehr um seine „tatsächliche Aufgabe“, die medizinische Betreuung der Patienten, kümmern könnte, „wäre der Arbeitsdruck nicht so hoch.“

Verständnis kommt von Patientenseite: „Es müssen ja nicht alle, die vernünftige Arbeit machen, hinausgeekelt werden.“ meint Andreas Gernet*. Der 54-Jährige kommt gerade von einer Herzkatheter-Untersuchung und ist noch etwas matt. Für sich persönlich kann er keine Nachteile durch den Streik erkennen. Der Service sei „gut“ und es gehe „zügig voran“. Etwas anders sieht das eine Gruppe von Damen mittleren Alters. Sie sitzen im Korridor. „Wir warten jetzt hier schon eineinhalb Stunden auf einen Arzt. Das nervt unglaublich!“, schimpft eine von ihnen. Röben beschwichtigt und empfiehlt, erstmal einen Kaffee zu holen.

Wenn er Recht behält, werden derartige Verstimmungen bald wieder der Vergangenheit angehören. Timo Röben rechnet nämlich damit, dass es bald zu einer Einigung kommt. Die Arbeitgeberfront sei schon am „Bröckeln“. Er verweist auf den Klinikverband Pinneberg. Der hat eine Vereinbarung in Anlehnung an die Uni-Kliniken-Regelung angeboten. Bis dahin heißt es aber kämpfen – der nächste Infostand in der Innenstadt ist schon geplant.

* Name von der Redaktion geändert