RUDOLF BALMER ÜBER DEN NEUEN ANTISEMITISMUS IN FRANKREICH
: Die Affäre Dieudonné

Die französischen Behörden und Medien haben dem antisemitischen „Humoristen“ Dieudonné (deutsch: Der Gottgegebene) die zwei größtmöglichen Gefallen erwiesen: Den ersten, weil sie versuchen, ihn zum Schweigen zu bringen, indem sie seine Auftritte mit Verboten verhindern wollen, den zweiten, weil sie ihn ernst nehmen.

Es ist einfach, sich nun über sie lustig zu machen und zu sagen, letztlich habe dieser Provokateur nun eine viel größere Tribüne erhalten. In diesen Tagen ist in Frankreich und darüber hinaus nur noch von ihm die Rede. Dank Internet erreichen seine vor Judenhass triefenden Sketche ein Millionenpublikum. Seine Fans, die seine Attacken gern als befreienden Bruch mit Tabus rechtfertigen, sehen in ihm ein Opfer staatlicher Willkür und greifen den Slogan vom Mai 68 auf: „Es ist verboten zu verbieten!“

War das Vorgehen gegen Dieudonné also falsch? Nein, denn der Regierung blieb nichts anderes übrig. Andernfalls hätte man ihr zu Recht vorgeworfen, sie kapituliere vor der in Frankreich zunehmenden Banalisierung von Rassismus und insbesondere von Antisemitismus. Die ganze Strategie von Dieudonné, der sich nicht zufällig im rechtsradikalen Milieu und unter Schoah-Leugnern zu Hause fühlt, zielt darauf ab, zu testen, wie weit er „zu weit“ gehen kann. Ihm muss Einhalt geboten werden. Doch auf welcher Ebene: ideologisch, politisch, juristisch, in den Medien?

Diese Debatte, die zweifellos zu lange hinausgezögert wurde, gibt jetzt wieder die Möglichkeit, sich mit den Mängeln der französischen Antirassismuspolitik, der Justiz, der Erziehung auseinanderzusetzen.

Denn die entscheidende Frage ist ja: Wie konnte es so weit kommen, dass viele Jugendliche aus der Banlieue in diesem zornigen Mann, der Judenhass predigt, ein Idol sehen?

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