Lebensretter statt Bestatter

PLEITE Planinsolvenz soll zu Mentalitätswandel führen – „zweite Chance“

BERLIN taz | Mehr als 17.000 Unternehmen haben im ersten Halbjahr 2010 in Deutschland Insolvenz angemeldet, 7,1 Prozent mehr als im Krisenjahr 2009. 155.000 Arbeitsplätze gingen dabei verloren, meldet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Sie schätzt, dass die Zahl der Firmenpleiten bis zum Jahresende auf rund 36.000 steigt.

Dabei ist inzwischen die zweite Reihe der Unternehmen dran: Vor allem mittelständischen Firmen fehlt nach den Auftragseinbrüchen des vergangenen Jahres Geld für Investitionen, die im Aufschwung nötig wären. Der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm: Allein 2009 blieben die Gläubiger – also Banken, Lieferanten, Kunden und Beschäftigte – auf rund 50 Milliarden Euro sitzen, ein Viertel mehr als im bisherigen Negativjahr 2003.

Drei Wege aus der Pleite

Nach der seit 1999 geltenden Insolvenzordnung können die von den Gerichten eingesetzten Insolvenzverwalter drei Wege gehen: Entweder sie legen den Betrieb still und wickeln das Unternehmen ab (1). Oder sie strukturieren nach einem von den Gläubigern abzustimmenden Plan das Unternehmen um, sanieren und verkaufen es an Investoren (2, übertragende Sanierung mit Insolvenzplan). Oder aber sie lassen die alte Geschäftsführung im Amt, erarbeiten mit dieser zusammen einen ebenfalls von den Gläubigern anzunehmenden Plan und beaufsichtigen dann die Umsetzung (3). Am erfolgversprechendsten hinsichtlich der Arbeitsplätze und für Gläubiger sind die sogenannten Planinsolvenzen (2 und 3). Bislang machen sie aber nur knapp 2 Prozent aus.

Schon die letzte Bundesregierung hatte angekündigt, die Insolvenzordnung zu überarbeiten und vor allem Planinsolvenzen in Eigenverwaltung zu vereinfachen. Auch die jetzige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat Änderungen des Insolvenzrechts als „wichtigste Reform im Wirtschaftsrecht“ bezeichnet. Noch vor der Sommerpause soll es einen Referentenentwurf geben. Ziel ist ein Mentalitätswandel: Leutheusser-Schnarrenberger will „eine Kultur der zweiten Chance fördern“. Insolvenzverwalter dürften nicht als Bestatter, sondern müssten als Lebensretter betrachtet werden.

Schaden durch Sparpaket

Konterkariert werden könnte dieses Prinzip allerdings durch das Sparpaket der Bundesregierung. Denn das sieht die Wiedereinführung des mit der Insolvenzordnung von 1999 abgeschafften Fiskusprivilegs vor. Das bedeutet, dass die Finanzämter Vorrang vor allen anderen Gläubigern haben. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verspricht sich Mehreinnahmen von 500 Millionen Euro pro Jahr.

Insolvenzexperten dagegen glauben, dass der Schaden wesentlich größer sei: Wenn Geld vorzeitig abgezogen werde, um Steuerschulden zu begleichen, erschwere das die Restrukturierung insolventer Betriebe. BW