Tausende Aktivisten, 39 Länder, 230 Foren

TREFFEN Nach anfänglichen Unsicherheiten hat das Europäische Sozialforum Fahrt aufgenommen

ISTANBUL taz | Stundenlange Foren, mühselige Übersetzungen und viele geduldige Menschen – das sind die Gesichter des Europäischen Sozialforums in Istanbul. Dort beraten seit Donnerstag mehrere tausend AktivistInnen aus 39 Ländern über die Globalisierungskritik von morgen. Istanbul soll Forum sein, um neue Antworten auf eine zunehmende soziale Schieflage in Europa und ungerechte Weltwirtschaftsordnung zu finden.

Mit der Weltwirtschaft sind auch einige europäische Protestbewegungen in eine Krise geraten. Vor dem Sozialforum in Istanbul war nach zahlreichen organisatorischen Problemen lange unklar, ob es überhaupt stattfinden würde. Jetzt lässt sich melden: Es lebt und schwitzt.

Im Mittelpunkt vieler westeuropäisch geprägter Debatten stehen in Istanbul vor allem die Frage nach zivilgesellschaftlichen Antworten auf die Weltwirtschaftskrise sowie die massiven Sparprogramme europäischer Regierungen. In zahlreichen Ländern wie Griechenland, Spanien, Frankreich und Deutschland werden in Folge der Weltwirtschaftskrise derzeit massiv öffentliche Leistungen eingespart. Anderes Schwerpunktthema ist der Israel-Palästina-Konflikt. Insbesondere nach den israelischen Angriffen auf die Solidaritätsflotte für Palästina Ende Mai sorgt das Thema für Zündstoff in der Türkei. Auch aus Palästina und dem Nahen Osten sind AktivistInnen in Istanbul präsent.

Daneben beschäftigen sich einige der rund 230 Veranstaltungen etwa mit der zunehmenden globalen Privatisierung von Wasser, dem neoliberalen Umbau der Bildungssysteme und Perspektiven europäischer Protestbewegungen. Aus Deutschland sind einige hundert Menschen in Istanbul vertreten. Neben GewerkschafterInnen, Abgeordneten und KlimaaktivistInnen sind etwa das globalisierungskritische Netzwerk Attac oder das Netzwerk „pro Asyl“ vertreten. Der Friedensaktivist Tobias Pflüger sagte der taz: „Es ist gut, dass sich die Befürchtungen, die es vor dem Sozialforum gab, nicht bewahrheitet haben. Das Sozialforum ist immer noch ein wichtiger Ort, um die Aktivitäten in den verschiedenen Ländern zu vernetzen.“ Für Samstag ist eine große Abschlussdemonstration in der Innenstadt von Istanbul geplant. Am Sonntag endet das Forum mit einer Großversammlung. MARTIN KAUL